Ist man zum Lokalreporter geboren? (Dieter-Golombek-Interview, Teil 2)
Herr Golombek, Sie engagieren sich seit über 40 Jahren für den Lokaljournalismus – was fasziniert Sie bis heute daran?
Als ich in den Siebzigerjahren das Lokaljournalistenprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung auf den Weg brachte, waren Lokaljournalisten in den Redaktionen von Tageszeitungen nicht gut angesehen, die Kollegen aus den anderen Ressorts blickten auf sie herab. Diese Geringschätzung stand in keinem Verhältnis zu ihrer tatsächlichen Bedeutung. Heute schauen Verleger und Chefredakteure zu ihnen auf, weil die Qualität ihrer Arbeit über die Zukunft der Tageszeitung entscheidet
Ist man zum Lokalreporter geboren oder eben nicht?
Ich erweitere die Frage: Ist Journalismus ein Begabungsberuf? Ja und Nein. Ohne Talent werde ich es nicht schaffen, gute Reportagen oder Glossen zu schreiben. Wenn ich nur auf Begabung vertraue, kann ich meine Talente nicht entwickeln, sie verkümmern. Wer Journalist wird aus Leidenschaft, weil er gut und gern beobachtet, neugierig ist, Menschen mag und gern Geschichten erzählt, der ist im Lokalen gut aufgehoben. Dort kann er noch Reporter sein, in den anderen Ressorts der Zeitung geht es mehr um die Verarbeitung von Nachrichten.
Der Begriff der Nähe ist gefallen – Lokaljournalisten trinken auch mal mit dem Bürgermeister oder Polizeichef ein Bier. Bei anderer Gelegenheit müssten sie die dann aber möglicherweise wieder kritisieren. Wie bringen sie das auf einen Nenner?
Der Lokalredakteur muss Nachrichten trotz Nachbarschaft herstellen. Er darf nichts unter den Teppich kehren. Er muss Dinge, die nicht gut laufen, genauso öffentlich machen wie er Erfolge zu berichten hat. Das kann ein hartes Brot sein – wenn etwa der Sohn des Bürgermeisters und der eigene Sohn die gleiche Klasse besuchen. Für einen nicht so freundlichen Kommentar braucht der Lokaljournalist jedenfalls mehr Mut als der politische Korrespondent für eine Kritik an Angela Merkel, die die Bundeskanzlerin vermutlich nicht einmal lesen wird.
Im Journalismus gibt es einen Trend zum Leserredaktionen, Leser-Reportern oder Leser-Fotografen – schaffen sich Journalisten damit selbst ab?
Nicht, wenn sie es vernünftig einsetzen. Wenn sie Bündnisse mit dem Leser eingehen und die Leistungen des Lesers da abrufen, wo er Einzigartiges bieten kann. Leser, die ebenfalls mit wachen Augen durch das Leben gehen, können Themen sehen, die ein Lokalredakteur nicht sieht. Zeitungen tun gut daran, sich dieses Leserwissen zugänglich zu machen, sie als Partner einzubinden. Leser-Reporter halte ich allerdings für eine Überforderung. Dieser Idee fehlt es an Respekt vor der journalistischen Professionalität. Schreiben, Recherchieren, Zusammenhänge herstellen, Texten die richtige Länge zu verpassen und noch einiges mehr, das ist schon eine eigene Kunst
Vor allem junge Leser finden es mitunter interessanter, was der Freundeskreis bei Facebook postet. Diese „Bürgernähe“ können Zeitungen kaum bieten – wozu raten Sie?
Die Redaktionen müssen überlegen, wie sie diese Nachrichtenflüsse auch für ihre eigenen Belange ausnutzen und wie sie sich in diese Debatten einklinken können. Nachrichtenfetzen können ja unterhaltsam sein, die so genannte Shitstorms machen die Welt nicht lebenswerter. Was wir weiterhin brauchen werden, sind Journalisten, die Zusammenhänge erklären und die uns helfen, sich in dieser ebenso aufregenden wie komplizierten Welt zurechtzufinden.
Thüringer Allgemeine, 28. September 2013 (in der Beilage zum Deutschen-Lokaljournalistenpreis)
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