Jan Böhmermann und Mathias Döpfner: Es geht um Freiheit, nicht um guten Geschmack

Geschrieben am 11. April 2016 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 11. April 2016 von Paul-Josef Raue in Aktuelles.
Springer-Chef Mathias Döpfner (Foto: Springer)

Springer-Chef Mathias Döpfner springt Jan Böhmermann bei(Foto: Springer)

Ohne einen scharfäugigen Wächter, der Missstände des öffentlichen Lebens aufspürt, liefe die Demokratie Gefahr, der Korruption oder der Verführung durch Scharlartane zu erliegen.

So schrieb der Presserechts-Anwalt Martin Löffler 1963, als die deutsche Demokratie noch im Dornröschenschlaf verharrte und Politiker wie Öffentlichkeit die Pressefreiheit als eher lästig betrachteten. Löffler erstritt vor dem Verfassungsgericht das „Spiegel-Urteil“ und schrieb „Der Verfassungsauftrag der Presse“, aus dem das Eingangs-Zitat genommen ist.

Karl-Hermann Flach aus der Chefredaktion der Frankfurter Rundschau zitierte in seinem „Macht und Elend der Presse“ eifrig aus Löfflers Buch und schrieb:

Ein hartes Wort erscheint in einer Zeit und Gesellschaft häufig geboten, in der man die zarten Töne und rücksichtsvollen Andeutungen geflissentlich überhört oder übersieht.

Das ist kein Kommentar zu Jan Böhmermann, sondern einem Buch von 1967 entnommen.

Es geht nicht darum, ob man Böhmermanns Gedicht gelungen findet oder gräßlich, es geht um das Prinzip: Darf einer harte Worte finden zur Türkei, ihrem Führer und den Verletzungen der Menschenrechte, wenn unsere Kanzlerin die zarten Töne bevorzugt?

Natürlich wird ein Teil der Kritik intellektuelle Kritik sein müssen, nicht nur in der Presse, mehr noch beim Kabarett und in der Literatur… Nur in einem provinziellen geistigen Klima können jene Vorstellungen entstehen, nach denen ein scharfer Kritiker uferlos hasst, ein Nihilist außerhalb der Gesellschaft ist.

Auch dies ist kein aktueller Kommentar, sondern 1967 geschrieben, mit Pathos geschrieben: „Es gibt eine Pflicht zur Kritik – aus Liebe zum Volk und aus Treue zum Grundgesetz des Staates.“

Mathias Döpfner, der Springer-Chef, argumentiert ähnlich in einem offenen Brief an Jan Böhmermann und seine „Maximal-Provokation“:

Dass Ihr Gedicht geschmacklos, primitiv und beleidigend war, war ja – wenn ich es richtig verstanden habe – der Sinn der Sache. Sie haben doch einfach alle beleidigenden, insbesondere alle in der muslimischen Welt beleidigenden Stereotype zusammengerafft, um in grotesker Übertreibung eine Satire über den Umgang mit geschmackloser Satire zu machen.

Döpfner bietet indirekt seine Hilfe vor Gericht an:

Jan Böhmermann (ZDF, Ben Knabe)

Jan Böhmermann (ZDF, Ben Knabe)

Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen. Vielleicht lernen wir uns auf diese Weise vor Gericht kennen. Mit Präsident Erdogan als Fachgutachter für die Grenzen satirischer Geschmacklosigkeit.

Es wäre zu wünschen, wenn die Klage vor Gericht kommt – durch alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht. Ab und zu muss jede demokratische Gesellschaft die Grenze der Freiheit austesten und klären lassen, das reinigt die Luft.

Offenbar ist es zur Zeit einfacher, Journalisten zu beleidigen und generell als „Lügenpresse“ zu diffamieren als die Wahrheit über einen Präsidenten zu sagen, der zum Diktator aufsteigt:  Erdogan – so Döpfner –

kontrolliert in seinem Land etwa 90 Prozent der Zeitungsauflage und lässt Demonstranten, die anderer Meinung sind, gewaltsam von öffentlichen Plätzen entfernen. Oppositionelle bezeichnet er als „Atheisten und Terroristen“. Studenten, die demonstrieren, riskieren Exmatrikulation. Universitätsprofessoren, Journalisten oder Blogger, die Kritik äußern, werden willkürlich verhaftet, teils gefoltert, Redaktionen werden durchkämmt. Eine friedliche Kundgebung für die Rechte Homosexueller wird mit Wasserwerfern und Tränengas niedergeschmettert. Die Gleichstellung von Männern und Frauen lehnt der türkische Präsident ab: Der Islam lehre, dass Frauen vor allem Mütter seien. Und auch gegenüber den Kurden ist exzessive und rücksichtslose Gewalt der türkischen Armee an der Tagesordnung, sagt Amnesty International. Die Gewalt gegen Kurden habe allein seit dem vergangenen Sommer Hunderte Todesopfer gefordert.

Und wer bezahlt Böhmermanns Gang durch die Instanzen? Da wird er sich wohl keine Gedanken machen müssen.

Also: Soll die Kanzlerin dem türkischen Drängen bitte nachgeben und der deutschen und europäischen Öffentlichkeit einen Prozess schenken, in dem es um die Freiheit geht und nichts anderes.

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Quelle: Offener Brief Döpfners in der Welt

 

 

1 Kommentar

  • Wenn schon die EU und unsere Kanzlerin durch Herrn Erdogan im gewissen Sinn, bezüglich der Asylanten-ströme in Richtung EU erpressbar sind, kann Frau Merkel bei der Verteidigung unserer demokratischen Grundsätze doch nicht „zurück rudern“. Sie beharrt auf ihren Standpunkten bis zum bitteren Ende ihrer verfehlten Politik der letzten Monate und Jahre.

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