Journalisten schreiben Krimis, und Robert Domes rechnet mit dem Chefredakteur ab

Geschrieben am 31. Mai 2014 von Paul-Josef Raue.

„Voralpenphönix“ spielt im Allgäu, wo Robert Domes lange als Lokalredakteur gearbeitet hatte, bevor er aus Frust über die ständige Teilnahme an Sitzungen und Konferenzen ins schwere Dasein eines freien Autors wechselte. Er will, so sagt er, schreiben und nicht seine Zeit im Management vergeuden.

So rechnet er, nebenbei, mit dem real im Allgäu existierenden Lokaljournalismus ab, der „zwischen Anbiederung an die Honoratioren und blankem Populismus“ schwankt. Zur Karikatur gerät der Chefredakteur, der immer in der ersten Reihe bei den Graureihern sitzt und sich wichtig macht; Oli, die Lokalredakteurin, beschreibt ihn so:

Eine Basisnote aus vorgespielter Sicherheit, in der Herznote ein kräftiger Schuss Angst und Einsamkeit und darüber ein hohes Flirren aus Stolz und Arroganz, die Zwischentöne sind frauenfeindlich, altbacken, intolerant, unterwürfig, distanzlos und geltungssüchtig.

„Voralpenphönix“ ist einer dieser Heimat-Romane, wie sie derzeit zu Dutzenden verlegt werden und offenbar ihr Publikum finden. „Voralpenphönix“ ist allerdings ein besonderer Heimatroman, ein zweifacher Heimatroman:

> Er spielt im Allgäu, in einer der schönsten Landschaften Deutschlands, aber die Romantik der Natur spielt keine Rolle. Wer sich in Urlaubsstimmung lesen will, wird enttäuscht. Für die junge Lokalredakteurin Olivia, die im Fall eines Serienmörders recherchiert, ist das Allgäu Provinz, und Kaufbeuren, ein 40.000-Einwohner-Oberzentrum, ist ein Kaff:

Das Leben war so zugepflastert wie die Kaufbeurer Altstadt. Stein an Stein, überschaubar und sauber, popelig und eng. Bloß keine Überraschung, bloß keine Neuerungen.

> Doch auch die verlorene Heimat spielt eine entscheidende Rolle: Milowitz, ein Dorf in Böhmen. Nachdem die Sowjets, vom Autor auf „die Russen“ verkürzt, das Dorf im Mai 1945 eingenommen hatten, begann die große Vertreibung – und die lange Erinnerung an das beschauliche Leben im Dorf. Für einen, der sich erinnert, ist das Erzählen von der alten Heimat wie ein langer Tauchgang, bei dem er immer wieder Luft holen muss:

Probisch schwebte durch die staubigen Straßen von Milowitz, durch Glasdrückereien und Bauernhöfe, durch Ställe und Stuben, über Bäche und Felder, durch Generationen und Jahreszeiten. Oli konnte die Rapsfelder riechen und die Kartoffelsuppen, den Pferdemist und den Schweiß der Knechte.

Doch kurz vor Ende des Krieges streunten einige Dorfburschen durch die Wälder, sammelten Waffen ein und griffen einen sowjetischen Panzer ab. Die Reaktion folgte prompt: Die Rote Armee schoss den ersten Bauernhof an der Dorfstraße in Brand, in dem eine komplette Familie mit vier Kindern und den Großeltern umkam.

Ein Sohn war nicht zu Hause. Sein Schicksal wird zum Drehpunkt der Handlung, in die sich Schuld und Rache mischen, unbewältigte Geschichte und unterdrückte Geschichten.

Robert Domes bleibt bei seinem Thema: Das Trauma der deutschen Schuld. In seinem preisgekrönten Buch „Nebel im August“, das bald verfilmt wird, recherchierte er die Geschichte eines ganz normales Kindes: Ernst Lossa wird als Kind fahrender Eltern, von Jenischen, geboren, von den Nazis in ein Erziehungsheim gesteckt und als „asozialer Psychopath“ von einem Euthanasie-Arzt in Kaufbeuren ermordet, nicht einmal 15 Jahre jung. Der Arzt, der die Ermordung verfügt hatte, entschuldigte sich vor Gericht: „Wenn ich ihn nicht euthanasiert hätte, dann wäre er halt in eine andere Anstalt gekommen.“

Im „Voralpenphönix“ geht es auch ums Verdrängen, das eine ganze Generation pflegt. „Eine böse Zeit“, sagen sie, „eine schwere Zeit, eine dunkle Zeit“ – wenn sie dem Thema nicht mehr ausweichen können. „Immer wenn es um das Dritte Reich ging, benutzten Zeitzeugen diese Sätze und beendeten damit das Thema, bevor es richtig anfing.“

Sozialkritisch ist Domes‘ Krimi, aber niemals ist das Kritische aufgesetzt; vor allem aber ist der „Voralpenphönix“: spannend. Die Dialoge sind nicht papieren wie in vielen deutschen Regionalkrimis, die Typen stimmen und bieten sich für eine Verfilmung an. Auch wenn dem Autor gegen Ende die Luft ausgeht, ist Robert Domes ein Erstling gelungen, dem eine Fortsetzung unbedingt folgen sollte.

Robert Domes: Voralpenphönix. Allgäu-Krimi. Emons-Verlag, 192 Seiten, 9.90 Euro

LESEPROBE:

Unter den Erinnerungen stieß Oli endlich auf den erhofften Schatz. In einem Briefumschlag steckten die persönlichen Unterlagen des Verstorbenen, alte Ausweise, Rentenbescheide, Zeugnisse und Beurteilungen. Mit zitternden Händen las sie dort zum ersten Mal den Namen Horst Kittel.

Aus den Papieren ließ sich das Leben des Mannes in groben Zügen rekonstruieren. Er war offenbar wirklich den Russen in die Hände gefallen. Die hatten den Sechzehnjährigen jedoch nicht getötet, sondern in ein Lager nach Sibirien geschickt. Dort war er bis 1950, wurde am Ende ideologisch geschult und bekam eine Arbeitsstelle in der DDR. Von nun an trug Horst Kittel den Namen Heinz Krause. Aus den Unterlagen ging der Grund für den Namenswechsel nicht hervor. Oli überlegte, ob die Russen ihn umbenannt hatten. Aber warum sollten sie? Viel wahrscheinlicher war, dass Kittel sich selbst das Pseudonym zugelegt hatte. Hegte er damals bereits Rachepläne, denen er unerkannt nachgehen wollte?

Als Heinz Krause machte er rasch Karriere in der Verwaltung der Nationalen Volksarmee. Den Unterlagen zufolge schien sein Arbeitgeber stets zufrieden gewesen zu sein. Kittel alias Krause war für die Organisation und Verwaltung von zivilen Einsätzen der NVA-Soldaten zuständig, etwa wenn sie bei der Ernte oder in Großbetrieben aushalfen. Zwischen den offiziellen Papieren lagen Fotos von Betriebsfeiern und Ehrungen. Sie zeigten einen groß gewachsenen, etwas feisten Mann mit Stirnglatze, der freundlich in die Kamera lächelte.

Das biedere Dasein hatte mit dem Fall der Mauer ein Ende. Krause wurde zusammen mit der NVA abgewickelt, verlor seinen Arbeitsplatz und ging vorzeitig in Rente. Er zog in den Westen, mietete sich 1995 eine Wohnung in der Nähe von Kaufbeuren.

Drei Jahre später erlitt er einen Schlaganfall und kam ins Heim nach Füssen.

Ein komplettes Leben in einem einzigen Briefumschlag. Das ist also, was von einem übrig bleibt, dachte Oli. Sie wollte die Dokumente wieder zurückstecken, als ihr ein kleines Notizheft in die Hände fiel, auf das mit schwarzem Stift ein Kreuz gemalt worden war. Mit klopfendem Herzen schlug Oli die Seiten auf. Die mit Bleistift geschriebenen Notizen ließen ihr den Atem stocken. Vor ihr lagen die Mordpläne an den Menschen, die Kittels Familie auf dem Gewissen hatten. Kittel musste seine Opfer über längere Zeit beschattet haben. Er hatte alle ihre Eigenheiten und Vorlieben im Telegrammstil notiert.

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