Junge Journalisten – „eine verwöhnte Generation“
„Ernüchternd“, „entsetzt“ – so die Reaktion von Pauline Tillmann und Mitgliedern der Jury des „Reportagepreises für junge Journalisten“ auf die eingesandten 29 Reportagen.
Pauline Tillmann klagt und klagt an in ihrem Blog:
- Viele junge Journalisten kennen offenbar den Unterschied zwischen Reportage und Portrait nicht.
- Für eine Reportage reicht es nicht, sich mit einem Menschen zwei Stunden in die Küche zu setzen und sich seine Geschichte nacherzählen zu lassen. Das ist wichtig für den Hintergrund und die Einordnung, aber man muss als Reporter etwas miterleben. Es muss etwas passieren, und man muss als Reporter beschreiben, was man sieht, hört, riecht, schmeckt und manchmal auch, was man fühlt.
- Die heranwachsende Generation, zu der ich mit meinen 29 Jahren auch gehöre, ist eine verwöhnte Generation. Den heutigen Nachwuchsjournalisten fehlt oft der Biss, der Wille mehr einzubringen, als minimal gefordert ist. Das Engagement. Den Esprit. Die Eleganz. Und das Bewusstsein: Wenn ich es zu etwas bringen will, muss ich dafür kämpfen. Meine Generation kämpft nicht, sie genießt.
- Es gibt viel mehr Journalistenschulen und Publizistik-Studiengänge als früher – und doch gibt es nicht mehr gute bis sehr gute Journalisten. Soll heißen: Es gibt eine Inflation der Mittelmäßigkeit. Und das hat damit zu tun, dass es viele nicht mehr gewohnt sind, sich anstrengen zu müssen.
- Weil einige Nachwuchsjournalisten nicht die nötige Energie
haben, wandern sie in die PR ab, weil es bequemer ist – und das Gehalt besser.- Den meisten fehlt einfach der Biss. Und ich kann aus meiner Erfahrung sagen: Es reicht nicht, Journalist werden zu wollen. Man muss wirklich dafür brennen.
Aus den Kommentaren zum Blogeintrag von Pauline:
+ Jetzt mal ehrlich: Ich finde die Art und Weise anmaßend, großkotzig und unangemessen…
+ Die angeblich mittelmäßige Qualität der Beiträge liegt vielleicht eher an der mittelmäßigen Bekanntheit des Preises. Vielleicht liegt sie aber auch daran, dass gerade die vielversprechendsten Talente so klug sind zu erkennen, dass die Branche gerade schreibenden und recherchierenden Journalisten heute keine über Jahrzehnte tragfähige Perspektive mehr auf eine bürgerliches Berufsleben bietet.
Das klingt paradox, ist aber traurige Realität. Vergleiche mit früheren Journalistengenerationen zeugen deshalb von einer entsetzenden Realitätsverweigerung. Nur wer nicht von ständiger Sorge um seine Zukunft und den Kontostand am Ende des Monats getrieben ist, hat überhaupt die Muße, sich auf Arbeitsbedingungen einzulassen, die für die Wirtschaftswunder- und 68er-Generation noch “Standard” waren.
+ Natürlich gibt es nicht viele Spitzenleute im Journalismus – wie überall. Viele Journalisten machen einfach ein solides Handwerk, sie mögen ihren Job und irgendwie ist es … ja: auch ein Job wie jeder andere. Man muss ja Journalismus nicht ständig überhöhen.
+ Lehrt zumindest die Akademie für Publizistik, dass ein Portrait zur Gattung der Reportagen gehört.
Pauline antwortet ihren Kritikern:
Ich habe mich für die Pauschalkritik entschuldigt. Und ich glaube, dass dieses Uninspirierte, das mir bei jungen Kollegen oft begegnet, darauf zurückzuführen ist, dass tatsächlich die allgemeinen Rahmenbedingungen wenig Raum für Kreativität lassen.
Dennoch bleibe ich dabei: Einige glauben sich nicht anstrengen zu müssen und glauben, dass ihnen alles zufliegt.
(zu: Handbuch-Kapitel 2 Welche Journalisten wir meinen – und welche nicht + 32 Die Reportage + 34 Das Porträt + 51 (PR) + 58-60 Ausbildung und Berufsbilder)
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