Lügenpresse (9) Meine Chronik des Jahres: Wie Regionalzeitungen reagieren

Geschrieben am 31. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue.
Das posteten Leser zum Thema „Lügenpresse“ auf unserer Facebook-Seite.

Thomas Bärsch reagierte mit fünf Punkten in der Zeitung:

1. Unser oberster Anspruch heißt Wahrhaftigkeit

Wer jemanden der Lüge bezichtigt, der beschuldigt ihn, vorsätzlich wahrheitswidrig zu reden oder zu schreiben. Er nimmt zugleich für sich in Anspruch zu wissen, was die Wahrheit ist.Wir Journalisten erheben diesen Anspruch für uns nicht – vor allem aus der Erkenntnis heraus, dass es die eine objektive und unveränderliche Wahrheit oft nicht gibt. Stattdessen haben wir uns die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit zur Aufgabe gemacht.Wahrhaftigkeit heißt, nach der Wahrheit zu streben. Es heißt nicht, in ihrem vollständigen Besitz zu sein oder dies von sich zu behaupten. Wenn wir berichten, dann im Ergebnis von Recherchen, von Informationen aus verschiedenen Quellen und oft auch auf der Grundlage unserer Beobachtungen – zum Beispiel bei Demonstrationen.

2. Wir reklamieren für uns keine Vollständigkeit

Es gehört zur journalistischen Sorgfalt, dass wir unsere Leser erkennen lassen, was recherchierte Fakten, was Aussagen Dritter und was unsere eigenen Beobachtungen sind. Dabei vermeiden wir es, den Eindruck zu erwecken, der von uns gelieferte Bericht, das von uns gezeichnete Bild spiegele die Wirklichkeit bis ins letzte Detail wider. Vielmehr wählen wir oft aus einer Vielzahl von Fakten und Aussagen aus, die es den Lesern ermöglichen, sich ein möglichst ausgewogenes und umfassendes Bild zu machen und eine eigene Meinung zu entwickeln.Wichtig ist dabei für uns vor allem, dass wir keine Fakten weglassen, die entscheidend für das Verständnis eines Sachverhalts sind oder diesen sogar konterkarieren.

3. Weglassen ist keine Fälschung und keine Lüge

Immer wieder sehen wir uns mit dem Vorwurf konfrontiert, wir würden die Wirklichkeit verfälschen, indem wir Fakten oder auch einzelne Meinungsäußerungen nicht veröffentlichen. Dann ist das Wort „Lügenpresse“ schnell gesagt.Tatsache ist, dass wir Fakten und Aussagen nach ihrer Relevanz für die Beurteilung eines Sachverhalts wichten. Darüber, ob unsere jeweilige Entscheidung richtig ist, wird vor allem in der aktuellen Flüchtlingsdebatte oft gestritten – übrigens auch während der Entscheidungsfindung innerhalb der Redaktion.Entscheidend ist für uns, ob Informationen nachprüfbar oder glaubhaft sind. Wenn es etwa  einen Polizeieinsatz in Flüchtlingsheimen gibt, berichten wir darüber.

4. Facebook & Co. sind nicht die Wirklichkeit

Wir berichten nicht über alles, was wir hören oder lesen. Das gilt vor allem dann, wenn es auf Gerüchten beruht, die sich über die sozialen Netzwerke verbreiten. Für uns gilt: dass eine Behauptung oft wiederholt wird, macht sie nicht wahr.Leider beobachten wir eine gewisse Neigung mancher Menschen, Gerüchten und Mutmaßungen zu glauben, dagegen aber von Journalisten recherchierte oder hinterfragte Informationen als Lüge abzustempeln. Stammen diese Informationen gar aus offiziellen Quellen – also zum Beispiel von Behörden –, lässt der Vorwurf der Staatsnähe meist nicht lange auf sich warten.

5. Meinungs- und Pressefreiheit sind zwei Dinge

Gern wird jetzt von diesen beiden Freiheiten gesprochen. Die erste ist ein Grundrecht, das den Bürgern garantiert, ihre Meinung frei und offen zu äußern – auch gegen den Staat. Der AfD-Fraktionschef Björn Höcke nutzt dieses Recht, wenn er etwa auf Demonstrationen spricht.Die Pressefreiheit dagegen ist das Recht der Presse auf freie Ausübung ihrer Tätigkeit – ohne staatliche Zensur oder jedwede andere Form der Einmischung von außen. Zu dieser Freiheit gehört für uns, dass wir selbst entscheiden, ob und in welchem Umfang wir von der Aktuellen Stunde und der Demonstration am Mittwoch berichten. Schon jetzt können wir versprechen, dass wir dies ausführlich tun werden. Nicht versprechen können wir dagegen, dass unsere Berichterstattung allen passen wird.

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Zum guten Schluss für alle Chefredakteure, die 2015 wenig zu lachen hatten. Thomas Bärsch ist amtierender Chefredakteur der Thüringer Allgemeine, der das Schmunzeln nicht verlernt hat; er schrieb am 13. Dezember diesen Tweet

Ist das laute Abspielen von Heino eigentlich noch Ruhestörung oder schon Landfriedensbruch?

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Im Dezember ist dieser Blog zum Tausender geworden: Über tausend Blog sind  seit der Gründung 2012 von 160.000 Besuchern gelesen worden. Es ist ein kleiner Blog geblieben, bewusst auf eine kleine feine Leserschaft von Journalisten konzentriert und auf Leser, die  Journalismus als Garanten der Demokratie verstehen.

Ich wünsche allen Lesern, Kommentatoren und Kritikern meines Blogs ein gutes Jahr 2016, in dem sie das Lachen und Lächeln nicht verlernen sollten.

4 Kommentare

  • Im Jahresrückblick 2015 zur „Leser-Seite“ habe ich das Thema „Lügenpresse“ beleuchtet. Sicher ist mein „Blickwinkel“ nicht repräsentativ. Aber als interessierter „Beobachter“ der veröffentlichten Themen gestatte ich mir schon meine Meinung zu äußern. Wie fast alles im Leben, sind auch Begriffe als relativ zu betrachten. Interessant wäre zu hinterfragen, wie kommen sie zustande? Wo liegen die Ursachen? Hierzu ein aktuelles Beispiel: Auf Seite 1 der Thüringer Allgemeinen vom 31.12.2015 wird ein Beitrag „Fürchtet euch nicht!“ mit einer Statistik unterlegt. Danach ist in 2015 der prozentuale Anteil an „großer Angst“ mit 39% der zweit-niedrigste von 1992 bis 2015. Nur der in 1992 mit 38% war niedriger. Demgegenüber stehen aber in 2015 auf der Leser-Seite der Thüringer Allgemeinen mehr als 50% der veröffentlichten Lesermeinungen mit Ängsten/ Sorgen um den Arbeitsplatz, um die Zukunft der Familie, um die Entwicklung unseres Sozialsystems unter der Belastung der Flüchtlingsströme nach Deutschland, um die Entwicklung der Infrastruktur in den Städten und Gemeinden, um nur einige Themen zu nennen, vor den veröffentlichten Meinungen der Leserinnen und Leser, nämlich ca. 40%, die (fast) keine Probleme sehen. Aus solchen, aktuellen Vergleichen, können Begriffe wie „Lügenpresse“ entstehen. Aber, jeder interessierte Betrachter der „Szene“ kann sich allseitig informieren. Und in der Summe der Informationen wird man zu „seiner“ persönlichen Meinung finden. Ob diese dann wieder repräsentativ ist, möge jeder für sich selbst entscheiden. Fest steht, Zeitung wird von Menschen gemacht, genau wie Demonstrationen für oder gegen etwas von Menschen organisiert werden. Menschen, meist wie du und ich, mit allen ihren individuellen Eigenschaften. Gerade das macht das Leben so interessant. Nur! so meine persönliche Auffassung und Erfahrung, das „Gute“ setzt sich schwerer durch als das „Böse“. Beide Begriffe hier, philosophisch betrachtet. Gruß, W. Jörgens

  • Herr Jörgens macht einen verbreiteten Fehler: Den, von einer wahrnehmbaren Stimmung – hier: allgemeiner Eindruck des Tenors von veröffentlichten Leserbriefen im Lauf eines Jahres – gefühlt hochzurechnen und dies mit einer nach empirischen Kriterien angelegten Studie zu vergleichen. Bei alles Skepsis, die der Meinungsforschung (schon im Namen steht der Widerspruch) zuzuordnen ist: Ihre Aufgabe ist ja gerade, das „Gefühlte“ – so gut es geht – vom Tatsächlichen zu separieren.
    Eine Erfahrung aber lernt man in dem Beruf schnell: Nicht die allgemeine Zufriedenheit, Gelassenheit, ja auch Ignoranz der Lebensumstände animiert Leser zu Briefen an die Zeitung. Sondern Unzufriedenheit, Unmut, Protest. Und eine Prise Eitelkeit, ja Narzissmus und der Drang zu agitatorischer Missionierung. Mit letzteren sind übrigens, das soll nicht verhehlt werden, auch Journalisten hie und da in gern verdrängtem Kontakt.
    Eine Redaktion, die den Tenor ihrer Leserbriefe für den repräsentativen Meinungsschnitt ihrer Leserschaft hält, läuft in eine Falle.
    Zugleich sind die Leserbriefschreiber jene aktiven Kunden, auf die es oft ankommt. Wenn ich könnte, würde ich jeden veröffentlichen Leserbrief mit 5 und jeden eingesandten Leserbrief mit einem Internet-Tagespass für die Plus-Inhalte der Zeitung belohnen.

    • Sehr geehrter Herr Henry Treff,
      Ihr Interesse an meinem Beitrag ist anerkennenswert. Auch, weil Sie Bezug nehmen auf meine Jahresanalyse 2015. Ich räume ein, jede Statistik hinkt. Jede! Das betone ich. Ihre Betrachtung zum Thema Lügenpresse und veröffentlichten Leserbriefen lassen didaktische, sowie dialektischen Fragen offen. Und, ihre Meinung zu nicht veröffentlichen Leserbriefen determiniert, was ich unterstütze, dass aus redaktioneller Sicht nicht wenige Meinungen von Lesern unveröffentlicht bleiben. Aber wo soll eine sog. Grenze gezogen werden? Wobei ein gewogenes Verhältnis zwischen *positiv/negativ* auch vom Subjektivismus derer, die eine Zeitung machen, abhängig ist. Meine Kernfrage war und ist, worin liegen die Ursachen dafür, daß Begriffe wie *Lügenpresse* überhaupt entstehen und von offensichtlich nicht unerheblichen öffentlichem Interesse begleitet werden. Liegt die Antwort nur am Subjektivismus der Redakteure/ Journalisten? Oder wirken hier auch andere sog. *politischen Kräfte*? Wir sprechen von einer unabhängigen Medienlandschaft/Presse! Die zeitnahe, aktuelle Berichterstattung zu den Ereignissen in Köln, Hamburg und Stuttgart lassen hier Fragen offen.
      Ihnen ein gutes Jahr.
      MfG
      W. Jörgens

      • Guten Tag, Herr Jörgens!
        Ich vermute, mit der These „Jede Statistik hinkt“ wollen Sie sagen, dass eine gemachte Aussage, die sich auf eine Untersuchung gleich welcher Güte bezieht, nicht allein dadurch glaubwürdiger wird. Hierin besteht die Problematik. Ob eine Statistik wahr ist oder nicht oder nur halbwahr, hat leider gar nichts damit zu tun, wie glaubwürdig sie ist. Denn während man einerseits Begriffe wie wahr und falsch in der Sphäre angestrebter Objektivität ansiedelt, ist der Begriff glaubwürdig dann absolut entfernt. Ob ich als Kommentierender hier Ihres Glaubens würdig bin, hat kaum etwas mit dem womöglich objektiven Wahrheitscharakter meiner Aussagen zu tun, sondern mit dem Vertrauen, dass Sie mir zuordnen. Wenn Sie mir misstrauen, kann ich behaupten, die Erde sei (fast) rund und zugleich nichts dagegen tun, dass Sie mir trotzdem nicht mehr vertrauen als vorher.
        Das ist es nämlich, was das Internet gemacht hat: Vorher war die Sache einfach: Es gab Massenmedien (die ich für glaubhaft halten konnte oder nicht). Heute sind Sie und ich genau so in der Lage wie ein Chefredakteur, die Welt mit eigenen Aussagen zu konfrontieren. Und jeder andere auch.
        Deswegen kann ich nichts dagegen machen, dass Sie mir nicht glauben, wenn ich Ihnen versichere, dass die Leserbriefauswahl von Menschen gemacht wird, die als Subjekte sich dem Ziel von Ausgewogenheit verschreiben. Das heißt: 20 Briefe pro und 80 kontra bedeutet nicht: ein Brief pro und ein Brief kontra im Blatt, sondern einer pro und vier kontra. Bitte immer als Prinzip verstehen, nicht als Goldwaage. Ob Sie dem Auswähler die 76 nicht veröffentlichten Kontra-Briefe vorwerfen oder die 19 nicht veröffentlichten Pro-Briefe, liegt nicht in Ihrem Ermessen, nicht in seinem. Auch gegen den Argwohn, es würden andere politische Kreise steuernd eingreifen, ist kein Kraut gewachsen, wenn Sie die Versicherung, es sei nicht an dem, keines Glaubens würdigen.

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