Lügenpresse (3): Des Lesers Lust an der Verschwörung
Ein Leser greift die „Lügenpresse“ auf, den Ruf der Pegida-Demonstranten: „Die Presse lügt nicht, sie schreibt nur nicht die Wahrheit.“ Er nennt ein Beispiel:
„Ein Reporter befragt 100 Leute über das Freihandelsabkommen mit den USA. 80 Leute sind dagegen, 20 sind dafür. In der Presse werden die Meinungen der 20 Befürworter bekannt gegeben. Zwei Kommentare der Gegner. Es erweckt nun den Anschein, dass die Meistbefragten dem Abkommen zustimmen. Die Presse hat somit nicht gelogen. Sie hat nur nicht die Wahrheit berichtet.“
Der TA-Chefredakteur antwortet in seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“:
Vor gut zwei Jahrtausenden stritten sich in Griechenland die Philosophen darüber: Was ist die Wahrheit? Die einen, Sophisten genannt, schätzten die schöne Rede, die ironische Wendung, die List und die Tücke – um den eigenen Standpunkt zu stärken und Macht zu bekommen; die Wahrheit dürfe so lange gebogen werden, bis sich die eigenen, die guten Interessen durchgesetzt haben.
Sokrates war der Gegenspieler der Sophisten, ein Liebhaber der Wahrheit, der lehrte: Ein guter, ein moralischer Mensch verdreht nicht die Wörter, bis sie ihm passen; er verführt nicht die Menschen mit falschen, aber schön anzuhörenden Geschichten.
Es gab offenbar zu allen Zeiten eine Lust an Verschwörungs-Theorien, die meist gründen in der Vorstellung: Es gibt die Bösen, und es gibt die Guten, zu denen ich gehöre.
Die Wirklichkeit ist dagegen eher grau, mal ein wenig heller, mal ein wenig dunkler. Diese Wirklichkeit ist die Welt der seriösen Medien, sie macht Mühe, und sie fordert die Kunst der Unterscheidung.
Die Wahrheit ist stets die Suche nach der Wahrheit.
Die Geschichte von dem Reporter, der eine Umfrage manipuliert – und das wäre eine Lüge -, ist schön erzählt und wäre in mancher Runde von beifälligem Kopfnicken begleitet. Nur – woher hat der Erzähler das Beispiel?
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Thüringer Allgemeine, Leser fragen, 28. März 2015
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