Medien-Professor kritisiert „Sensationalismus“: Zu viele Brennpunkte und Sonderseiten nach dem Terror in Paris

Geschrieben am 17. November 2015 von Paul-Josef Raue.

Medien berichten oft in einem Umfang und in einem Alarmton, wie ihn die Terroristen mittlerweile einberechnen. Insbesondere der IS verfolgt eine kühl kalkulierte Medienstrategie

So kritisiert Kai Hafez die Medien nach den Anschlägen in Paris; der 51-jährige ist Professor für vergleichende Analyse von Mediensystemen und Kommunikationskulturen in Erfurt. Hafez wirft in einem Interview mit Martin Debes (Thüringer Allgemeine) den Medien vor, die Kriegs-Rhetorik des Westens fahrlässig zu verstärken. Zudem werden die Medien Handlanger der Terroristen:

Die Medien sind mehr als nur ein Überbringer der Botschaft. Sie schaffen die Bedeutung solcher Anschläge aktiv mit, in dem sie sie in unsere kollektive Erinnerung einbrennen.

Nüchtern berichten – so empfiehlt der Medienwissenschaftler „und nicht mit so vielen Sondersendungen, Sonderseiten und Sonderausgaben“. Ohne großes mediales Echo verkümmere die Botschaft der Angst und werde zum Rohrkrepierer. „Wir alle müssen versuchen, dem Sensationalismus nicht nachzugeben und bei aller verständlichen Emotionalität den Ball flach zu halten.“

Ähnlich argumentiert der Politologe Herfried Münkler in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, glaubt aber, dass unsere Medienwelt mit den schnell wechselnden Themen auch schnell wieder vergessen könne: Wer erinnert sich noch an die Madrider Anschläge 2004, die mehr Todesopfer gefordert haben als die in Paris? Unsere Gesellschaften führten nach einer Weile ihr normales Leben weiter – „weil sich dabei herausstellt, wie schwach doch letzten Endes die angreifenden Akteure sind. Sie sind nur stark in dem Augenblick, in dem wir durch unsere Aufgeregtheit, unsere Nervosität, ja womöglich  unsere Hysterie wie Schlagkraftverstärker wirken“.

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Quellen: Thüringer Allgemeine und Süddeutsche Zeitung, beide 17. November 2015

 

1 Kommentar

  • Ich teile die Analysen von Kai Hafez und Herfried Münkler. Auch nach den erneuten Anschlägen in Paris blockiert ein durch Medien geförderter Alarmismus die Erforschung der Hintergründe islamistischer Anschläge besonders in Frankreich. An anderer Stelle, etwa auf facebook, habe ich unmittelbar nach den Anschlägen darauf hingewiesen, dass Frankreich nach wie vor im Nahen Osten wie auch in Afrika als Kolonialmacht agiert, um wie Großbritannien seine Sonderrolle als Supermacht neben Washington und Moskau zu behaupten. Dabei ist Frankreich mit eigenen Worten formuliert ein ökonomisch „absteigender Staat“, der von speziellen innenpolitischen Instabilitäten geplagt, erinnert sei nur an die regionalen Probleme, die Zuwanderung aus den vielen ehemaligen Kolonien auch in Asien nicht zu integrieren vermochte. Gleichzeitig agiert die Pariser Zentrale auch in Syrien als bombadierende Militärmacht und zieht somit Anschläge von islamistischen Attentätern geradezu auf sich. Das man die nicht gewähren lassen darf, versteht sich von selbst. Leider wird übersehen, dass die Bereitschaft zu Terroraktionen in den teils völlig heruntergekommenen Randregionen der Großstädte gewachsen ist. Obwohl auf dieses Thema in Literatur und Kinofilmen längst schon hingewiesen wurde, gibt sich die Regierung Hollande vor anstehenden Wahlen von den Anschlägen letztendlich wie unbeeindruckt potent und großmächtig. Mir ärgerlich waren die Reaktionen in deutschen Medien auf die brutal und konsequent geplanten Anschläge, die nur in seltenen Fällen zu Hintergrundanalysen fähig zeigten. Dabei rechtfertigen Analysen in keinem Fall terroristische Anschläge auf ziviles Leben, sie können allerdings das historische Umfeld und die verwerflichen Motive der Selbstmörder erhellen. Schande hat mal wieder dieses BILDblatt über soliden Journalismus gebracht, als habe dort der Ex-Kollege Söder die Feder geführt, bzw wie berauscht auf die Tasten gehauen. Man konnte sich allerdings auch oftmals über die spontan unkritische journalistische Solidarität mit unserem Nachbarvolk wundern, wo nebenbei privat angemerkt, viel Kretschmer-Verwandtschaft wohnt. Von Metz bis Bastia. Ich empfinde diese Art von „Solidaritätshudelei“ als verständlich. Welches deutsche Städtchen ist nicht mit einem französischen verschwistert und verschwägert? Doch wird man in einer äußerst angespannten Weltlage auch den Opfern der Attentate gerecht, wenn „Solidarität“ in einer reflexartigen Weise herunter gepredigt wird, die floskelhaft das nun gemeinsame Einstehen gegen Terrorismus usw beschwört? Ich wunderte mich darüber, wie bei aller verständlicher mitleidender Solidarität der geforderte kritische Verstand vieler Journalistinnen und Journalisten aussetzte und sich in plakative Parolen flüchtete. In die gleichen wie beim nächsten fundamentalistischen Anschlag in Frankreich, wenn deutsche Fußballer nicht betroffen sind? Auf nur einer Sonderseite hätte auch grafisch gut dargestellt nachgelesen werden können, warum Frankreich bevorzugtes Ziel islamistischer Terroristen ist, die auch im Land selbst aufwuchsen. Rasches Mitleid und Solidarität aus Betroffenheit können eine Analyse nicht ersetzen. Die Ursachen von Terrorismus könnte man intelligenter auflösen, wenn man es denn wirklich wollte.

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