Hingebung, Demut, Dienen (Noske-Interview 2)
Die Organisation eines Klosters und einer Redaktion sowie Fehler und ihr Management: Das sind die Themen im zweiten Teil des Interviews, das Paul-Josef Raue mit Henning Noske über dessen Buch „Journalismus“ führte.
Raue: Sie sind zum Schreiben des Buchs ins Kloster gegangen. Kann man nur ohne Handy und I-Pad noch konzentriert arbeiten?
Noske: Das Kloster war ein Fehlschlag, wie Sie ja lesen konnten. Ich habe nicht ansatzweise das Pensum geschafft, das ich mir vorgenommen hatte. Um mich herum hatte ich zwar keinerlei Medien, sogar das Massaker auf der Insel Utoya in Norwegen habe ich zunächst nicht mitbekommen. Ich erfuhr davon erst zwei Tage später um 6 Uhr früh in der Predigt. So muss es wohl früher gewesen sein.
Das Kloster und die gestrandeten Menschen dort – das war für mich alles viel zu spannend, um es für meine konzentrierte Arbeit an dem Buch, die ich mir eigentlich vorgenommen hatte, zu ignorieren. Ich bin am Mittagstisch sitzengeblieben, um mit den spannenden Leuten zu reden. Im Buch kann man nachlesen, warum das so wichtig ist. Ich habe es dann zuhause im Urlaub fertiggeschrieben, auf Kosten meiner Frau.
Raue: Sie nennen die Organisation eines Klosters ein zwei Jahrtausende altes Psycho-Programm. Wenn es sich so bewährt hat: Was können Redaktionen von den Mönchen lernen?
Noske: Konzentration auf das Wesentliche, Hingebung, Demut, Dienen. Natürlich kann man eine Redaktion nicht wie ein Kloster organisieren – und niemand hätte Verständnis dafür. Die Kunst ist es heute, die Hingabe an die eigene Profession mit dem Spaß und dem Erfolg zu verbinden. Insofern ist mir das Kloster schlicht zu weltabgewandt, in jeder Beziehung.
Die Redaktion ist im Idealfall ein Tummelplatz von gesprächigen Menschenfreunden, die aus sich herausgehen und nicht nach innen gekehrt sind. Mein Glaube ist, dass nichts gewiss ist. Das sehen die Mönche natürlich ein bisschen anders.
Raue: Was ist Ihr Lieblings-Kapitel im Buch? Ihr Lieblings-Zitat?
Noske: Das ist immer dort, wo ich mich mit Egon Erwin Kisch beschäftige. Und das ist gleich an etlichen Stellen der Fall, wenn es um Details und Erzählkunst geht. Das hat mir am meisten Spaß gemacht. Und mich aber leider auch wieder am meisten Zeit gekostet: Ich habe mich in meine Kisch-Gesamtausgabe aus dem Aufbau-Verlag, noch zu DDR-Zeiten mit Ostmark aus dem Zwangsumtausch erstanden, vergraben und immer wieder festgelesen. Dieser Mann schreibt uns auch heute noch alle an die Wand! Er hat so viel Spaß am Schreiben und Erzählen, er spielt mit Lust damit und mit seinem Leser, den er liebt, hofiert, umgarnt, fordert und fesselt – und man liest es! Ich hätte Lust, ein „Best of Kisch“ zu schreiben.
Und mein Lieblings-Zitat? Da beschäftige ich mich mit Wolf Schneider und seinem legendären Spruch: Qualität kommt von Qual. Ich sage dazu: Nein, verehrter Meister, hier irren Sie. „Qualität kommt von Spaß! Weil ich sage: Wer keinen Spaß hat, braucht sich auch nicht zu quälen. Er wird ohnehin niemals Erfolg haben.“ (Journalismus – Was man wissen und können muss, Seite 84).
Raue: Sie kommen aus dem Wissenschafts-Journalismus, haben dort viele Preise gewonnen und sind an der Braunschweiger Universität bekannter als der Präsident. Was haben Sie für den Journalismus von Wissenschaftlern gelernt, vor allem von Naturwissenschaftlern und anderen, die mit unserem Gewerbe nichts zu schaffen haben?
Noske: Natürlich bin ich dort nicht bekannter als der Präsident – und ich möchte es auch nicht sein. Aber von den Wissenschaftlern habe ich viel gelernt, übrigens gerade von den Naturwissenschaftlern. Sie forschen mit der Attitüde des selbstlosen Rechercheurs – ein Befund reicht ihnen nicht, ein zweiter meistens auch nicht. Sie sind übrigens auch dann zufrieden, wenn sie rauskriegen, dass sie nicht Recht haben. Das ist auch ein Treffer.
Hier sehe ich die Grenze: Journalisten recherchieren, um ihre Geschichte rund- und nicht totzumachen. Wir kommen schneller auf den Punkt, übersetzen, schlussfolgern, schätzen, kommentieren. Damit tun sich die Forscher schwer. Mein Programm ist es, Teams mit ihnen zu bilden. Sie erklären mir die Wissenschaft, beispielsweise, wie die Naturstoffe von Bakterien entschlüsselt und zu Medikamenten umgebaut werden. Und ich zeige ihnen den Weg zu unserem Leser, für den er bislang immer nur chinesisch geredet hat.
Raue: Journalisten geben ungern Fehler zu. Sie schreiben 25 Seiten über das „Fehlermanagement“, sogar drei Kapitel über „Rechtschreib-Hauptfehler“ und bemühen die Hirnforschung. Warum so viele Mühe um unsere Fehler?
Noske: Weil wir zwar ungern Fehler zugeben, aber zu viele machen. Der Fehler ist ein alltägliches Phänomen, nicht nur beim Zeitungmachen. Die Technik, die wir lernen müssen, ist es, bei Qualitätsarbeit im Fehlervermeidungsmodus zu arbeiten. Wir arbeiten jedoch allzu oft in einer Art Fehlermodus: Er suggeriert uns, da würde immer noch einer kommen, der den Fehler schon noch findet und ihn eliminiert. Bloß, dass diese Heinzelmännchen ausgestorben sind.
Was bleibt, sind allzu viele Fehler – und ein Leser, der unsere Zuverlässigkeit liebt und an unseren Fehlern verzweifelt. Es gibt noch einen anderen wichtigen Punkt in diesem Zusammenhang: Fehler zermürben uns, sie durchlöchern unser Selbstbewusstsein. Fehler machen fertig, sind Sargsprossen zum Burnout. Das Verbergen von Fehlern und Defiziten, nicht das Korrigieren, frisst unglaublich Zeit und Energie, lähmt. Bei all dem sage ich: Mit offenem Visier gegen unsere Fehler, auch gemeinsam mit dem Leser, der gerade unsere Ehrlichkeit immer besonders schätzt und gern liest. Der Forscher würde sagen: Jeder Fehler bringt mich weiter.
Raue: Bleiben wir bei den Fehlern. Das Foto auf dem Buchumschlag zeigt Ihre Zeitung mit einer Schlagzeile, die ein Fall fürs Fehlermanagement wäre: „Hebel aus der Krise“ ist ein schiefes Bild, eher geeignet für den „Hohlspiegel“, den Sie in Ihrer Literaturliste empfehlen. Ist das Titelbild ein Wink in die Redaktion, gefälligst Ihr Buch zu lesen?
Noske: Nein, ich habe das Bild in der Bahnhofsbuchhandlung selbst geschossen – aber auf die Schlagzeile dieses Tages nicht geachtet. Darauf machen Sie mich erst aufmerksam. Ich bewundere Ihren Instinkt, mit dem Sie bei den abgebildeten 45 nationalen und internationalen Blättern im Miniformat untrüglich die Schlagzeile Ihrer Lieblingszeitung entziffern können und sich offenbar immer noch auf eine kleine Rauferei in der Konferenz freuen.
Ich nehme mal die Lupe und lese die ganze Schlagzeile: „Merkel und Sarkozy suchen den Hebel aus der Krise.“ Der Hebel ist im Zusammenhang mit den Euro-Rettungsfonds ist ein blindes Bild, das keiner bislang so richtig begriffen hat. Wir werden die Schlagzeile aber vermutlich nicht im Hohlspiegel finden. Trotzdem sollten alle gefälligst mein Buch lesen. Das hebelt richtig.
*
Der dritte und abschließende Teil des Interviews folgt. Teil 1 – Teil 3.
Eine ausführliche Besprechung des Noske-Buchs hat Armin Maus, Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung, geschrieben: „Wie man guten Journalismus macht“ (BZ, 22. Dezember 2012)
Das Buch: Henning Noske, Journalismus – Was man wissen und können muss. Ein Lese- und Lernbuch. Klartext-Verlag, Essen, 234 Seiten, 17.95 Euro
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