„Online-Kolumnisten sind die Heinzelmännchen der öffentlichen Meinung“
Die meisten Online-Kolumnisten wären gerne Streiflicht-Kolumnisten: Das ist die Kolumne in den deutschen Zeitungen, die Krönung für Journalisten schlechthin. Die großen Zeiten des Streiflichts sind zwar vorbei, als Rhiel-Heyse und andere noch schrieben, aber der Mythos lebt.
So kann sich ein Streiflicht-Autor auch über Online-Kolumnisten lustig machen:
Online-Kolumnisten sind die Heinzelmännchen der öffentlichen Meinung. Sie streuen selber die Erbsen aus, auf denen sie dann in die Herzen und Köpfe der Leser rutschen.
Was für ein Bild! Wenn ein Online-Kolumnist von Erbsen und Köpfen geschrieben hätte, würden sich Streiflicht-Kolumnisten darüber her- und hinmachen. Aber schön sind die Erbsen doch! Aber weiter im Streiflicht: Warum beneidet ihn der Streiflicht-Kolumnist:
Wenn ein Online-Kolumnist ein interessantes Buch gelesen hat, dann schreibt er nicht, ich habe ein interessantes Buch gelesen. Sondern: Ich habe ein Buch gelesen, gegen das ihr alle anderen Bücher knicken könnt. Erstens weil ich es bin, der es gelesen hat…
Warum steht vor „Sondern“ ein Punkt und kein Komma? Weil es ein Streiflicht ist?
Zu einem nichts sagenden Satz in einer Online-Kolumne, viel schlechter als der mit den Erbsen, schreibt der Streiflicht-Kolumnist:
Solche Sätze kamen früher von diesen endlos daherlabernden Dödeln auf dem Oberstufenhof, mit denen gerade wieder mal und logischerweise ein Mädchen Schluss gemacht hatte.
Da haben wir es: Das Streiflicht ist für Leute geschrieben, die zumindest Dödeln oder mehr auf dem Oberstufenhof waren, also Elite-Nachwuchs und nicht Provinzler, die Online-Kolumnen schreiben und die „Glocke“ lesen. Aber – aha, so etwas hat sich auch der Streiflicht-Kolumnist gedacht:
Manchmal finden Online-Journalisten alle Menschen sehr dumm und intolerant.
Das stimmt, aber: Finden das nur Online-Kolumnisten? Und was ist mit den Streiflicht-Dödeln?
Als Online-Kolumnist schreibe ich demnächst nur: Ich habe ein interessantes Streiflicht gelesen.
Quelle: SZ 8. März 2014
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