Personenvereinzelungsanlage: Der Einzelne ist ein außer der Welt hockendes Wesen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 11. Mai 2014 von Paul-Josef Raue.

Philosophen plagen sich seit Jahrtausenden mit der Frage: Was ist der Mensch? Das Individuum? Der Einzelne?

„Gibt es etwas Größeres als der einzelne Mann?“, fragte Sokrates, der bekanntlich unentwegt kommunizierte. Adeimantos antwortete: „Ja, der Staat!“

Schauen wir gnädig über die Gleichsetzung von Mann und Mensch hinweg: Die Emanzipation der Frau hatte noch keinen Platz in der philosophischen Männergesellschaft der Griechen.

Was uns interessieren sollte, ist das Verhältnis vom Menschen, wenn er einzeln ist, und dem Staat. Was für Sokrates noch eine philosophische Frage war, ist für den demokratischen Staat eine technische Herausforderung.

Er hat die „Personenvereinzelungsanlage“ geschaffen, die nicht nur ein Wort-Monstrum ist mit 27 Buchstaben, sondern eine perfekte Erfindung, um einen Menschen – gleich ob Frau oder Mann – zu dem zu machen, was er wirklich ist: einzeln.

Wer unser schönes Deutschland nach einem Türkei-Urlaub wieder betritt, muss auf dem Flughafen durch eine Tür treten, die sich gleich hinter ihm schließt: In den schmalen Raum passt immer nur ein Mensch – einzeln.

Den Raum verlassen kann man nur – einzeln. Eine ähnliche Personenvereinzelungsanlage gibt es beim Betreten eines Gefängnisses, wie sie eifrige Zuschauer des sonntäglichen „Tatort“ bestens kennen.

Wir warten nur noch auf Philosophen, die unsere moderne Gesellschaft erklären zu einer gigantischen, vom Staat geförderten Personenvereinzelungsanlage. Auf dem besten Weg dazu sind wir, auch ohne Staat, dank Handy und Smartphone, Facebook und Google. Wir sind sozial – und einzeln, wie ein außer der Welt hockendes Wesen.

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Thüringer Allgemeine, 12. Mai 2014, Friedhof der Wörter

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