Politiker und Bürger: Der Fluch des Wissens und taktische Unverständlichkeit (Friedhof der Wörter)
Politiker sprechen gern von Bürgernähe, vor allem vor der Wahl. Sie geloben Transparenz, also Durchsichtigkeit: Danach soll alles, was Politiker tun, für jedermann sichtbar und verständlich sein.
In den Programmen der Parteien ist die Bürgernähe nur ein Wort. Kommunikations-Forscher der Hohenheimer sprechen ein vernichtendes Urteil über die Verständlichkeit politischer Texte aus; dies war Thema der vergangenen Kolumnen.
Den Grund für die Unverständlichkeit sehen die Wissenschaftler in den Diskussionen von innerparteilichen Experten. Professor Frank Brettschneider erklärt:
Diesen ist meist nicht bewusst, dass die Mehrheit der Wähler ihr Fachchinesisch nicht versteht, wir nennen das den Fluch des Wissens.
Ein Beispiel aus einem Parteiprogramm sei zitiert und nicht erklärt: „Comprehensive Test Ban Treaty“
Doch nicht allein der „Fluch des Wissens“ hindert die Politiker, klar und verständlich zu schreiben: „Zudem nutzen sie abstraktes Verwaltungsdeutsch, um unpopuläre Positionen absichtlich zu verschleiern.“ Dies nennen die Wissenschaftler „taktische Unverständlichkeit.“
Und wie sieht ein verständliches Politiker-Deutsch aus? Die Wissenschaftler geben vier Hinweise, die für jeden hilfreich sind, der verstanden werden will:
1. Keine Fremd- und Fachwörter ohne Erklärung. Wer über kein Fachwissen verfügt – wie die meisten Bürger – und wer keine akademische Ausbildung hat, steht vor einer kaum überwindbaren Hürde.
2. Keine Wortungetüme, also lange Wörter, und zu viele Hauptwörter; sie erschweren das Lesen und blockieren das Verstehen.
3. Keine langen Sätze; Bürger, die sonst wenig lesen, haben Schwierigkeiten, lange Sätze zu zertrümmern.
4. Keine mit Informationen überfrachteten Sätze; Ein Satz soll möglichst nur eine Information vermitteln.
Wer diese Regeln nicht befolgt, wird vom Bürger bestraft: Er liest nicht weiter.
Die übrigen Folgen der Parteiprogramm-Serie:
Rekord – Der längste Satz im Wahlprogramm
Liquiditätsanforderungen – Wortungetüme in Wahlprogrammen
Wer hat das längste Wort im Wahlprogramm? Mehr als 42 Buchstaben?
Thüringer Allgemeine 23. September 2013
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