„Putin-Versteher“ , nicht „Lügenpresse“ war Unwort-Favorit des Publikums (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 19. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.

„Lügenpresse“ ist das Unwort des Jahres. Es ist eine gute Wahl, denn ohne unabhängige Presse verwandelt sich eine Demokratie in eine feudale Herrschaft derjenigen, die mit Macht oder Geld dem Volk vorschreiben, was es wissen darf und denken soll. 

Erfüllt die Presse ihre Aufgabe nicht oder nur teilweise, wird es in einer Demokratie immer ein Forum für Kritik, Widerspruch und Aufklärung geben – bei fast 17 Millionen Tageszeitungen, die täglich verkauft werden. Zu Recht  begründet die Jury:  „Eine pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der Pressefreiheit.“

„Lügenpresse“ war aber nicht der Favorit der über tausend Bürger, die ihre Vorschläge eingereicht haben, ja stand noch nicht einmal auf den vorderen Rängen. Das Publikum stimmte so ab – und jeder kann so seinen eigenen Favoriten wählen:

1. Putin-Versteher / Russland-Versteher (dies Unwort kam bei der Jury immerhin in die engere Wahl wie auch „Erweiterte Verhörmethoden“ für Folter)
2. PEGIDA / Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes
3. Social Freezing 
4. Tierische Veredelung / Veredelungsindustrie / Veredelungswirtschaft 
5. Gutmensch / Gutmenschentum 

Ob die Jury, mehrheitlich in Professoren-Hand, beim nächsten Mal auch einen Publikums-Favoriten auszeichnet?

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Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“, 19. Januar 2015

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Die Jury:
Prof. Dr. Nina Janich/TU Darmstadt (Sprecherin), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier), Stephan Hebel (Journalist), Christine Westermann (Journalistin, als jährlich wechselnder Gast)

Die Begründungen der Jury:

„Lügenpresse“ war bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampf-
begriff und diente auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung
unabhängiger Medien. Gerade die Tatsache, dass diese sprachgeschichtliche
Aufladung des Ausdrucks einem Großteil derjenigen, die ihn seit dem letzten
Jahr als „besorgte Bürger“ skandieren und auf Transparenten tragen, nicht
bewusst sein dürfte, macht ihn zu einem besonders perfiden Mittel derjenigen,
die ihn gezielt einsetzen. Dass Mediensprache eines kritischen Blicks bedarf und
nicht alles, was in der Presse steht, auch wahr ist, steht außer Zweifel. Mit dem
Ausdruck „Lügenpresse“ aber werden Medien pauschal diffamiert, weil sich die
große Mehrheit ihrer Vertreter bemüht, der gezielt geschürten Angst vor einer
vermeintlichen „Islamisierung des Abendlandes“ eine sachliche Darstellung
gesellschaftspolitischer Themen und differenzierte Sichtweisen entgegen-
zusetzen. 

„Erweiterte Verhörmethoden“
ist aktuell geworden durch den CIA Bericht 2014; der Begriff hat sich in der Berichterstattung zu einem dramatisch verharmlosenden Terminus Technicus entwickelt. Der Ausdruck ist ein Euphemismus, der unmenschliches Handeln, nämlich Folter, legitimieren soll. Auch wenn er in deutschen Medientexten in distanzierenden Anführungszeichen steht, dient er letztlich dazu, das in seiner Bedeutung sehr klare Wort „Folter“ zu umgehen. Dass man sich die Sprache der Täter mit dieser Übernahme zu eigen macht und damit akzeptiert, ist bedauerlich.

„Russland-Versteher“

Zum Unwort wird dieser in der aktuellen außenpolitischen Debatte gebrauchte Ausdruck vor allem, weil er das positive Wort „verstehen“ diffamierend verwendet (und zwar ohne die Ironie, wie sie beispielsweise hinter der analogen Bildung des „Frauen-Verstehers“ steht). Wie Erhard Eppler im in seinem kritischen Essay „Wir reaktionären Versteher“ (Spiegel 18/2014 vom 28.04.2014) darlegt, sollte das Bemühen, fremde Gesellschaften und Kulturen zu verstehen, Grundlage einer jeden Außenpolitik sein, weil die Alternative nur Hass sein kann. Eine fremde Perspektive zu verstehen, bedeutet keinesfalls, damit zugleich Verständnis für daraus resultierende (politische) Handlungen zu haben. Andere polemisierend als „Versteher“ zu kritisieren, ist damit unsachlich und kann die inhaltliche Diskussion nicht ersetzen. Ein ganzes Volk zudem pauschal für eine politische Richtung haftbar zu machen und es mit dem Ausdruck „Putin-Versteher“ auf einen Autokraten zu reduzieren, zeugt von mangelnder Sprachreflexion oder aber gezielter Diffamierung.

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