Rabauken-Affäre (5): Ein Generalstaatsanwalt, Verfolgung Unschuldiger und die Pressefreiheit
Journalisten in eigener Sache verfolgen? Ermittlungsverfahren gegen Journalisten von Amts wegen verfügen? So einfach ist das nicht für Richter, Staatsanwälte und die ihnen vorgesetzten Minister, einfach mal einen Redakteur zu erschrecken. Professor Holm Putzke aus Passau weist darauf hin:
Wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren (…) berufen ist, absichtlich oder wissentlich einen Unschuldigen oder jemanden, der sonst nach dem Gesetz nicht strafrechtlich verfolgt werden darf, strafrechtlich verfolgt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (Quelle:
Strafakte.de)
Es geht um die Rabauken-Affäre in Mecklenburg-Vorpommern, die der Hamburger Rechtsanwalt Mirko Laudon so zusammenfasst (das Interessanteste steht in den Klammern):
Ein Jäger hatte ein verendetes Reh gefunden und mit einem Seil hinter seinem Auto hergezogen. Jemand fotografierte dies und stellte das Bild in die sozialen Netzwerke. Der anonyme Mann wurde nun als „Wildschleifer von Vorpommern“ bekannt. Ein Redakteur der örtlichen Lokalzeitung „Nordkurier“ schrieb über das unwaidmännische (§ 1 JagdG) Verhalten und wählte dafür die Überschrift „Rabauken-Jäger“.
Der Jäger (aktiv im CDU-Kreisverband Vorpommern-Greifswald) erstattete Strafanzeige wegen Beleidigung, zwei Mal wollte die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen (Nr. 229 RiStBV), zwei Mal ordnete die Generalstaatsanwaltschaft (disziplinarisch der Ministerin untergeordnet, die auch im CDU-Kreisverband Vorpommern-Greifswald aktiv ist) an, dass das Verfahren weitergeführt werden solle.
Den Redakteur verurteilte eine Amtsrichterin in Pasewalk zu einer 1000-Euro Geldstrafe; Chefredakteur Lutz Schumacher empörte sich im Nordkurier und bekam eine Anzeige wegen Beleidigung. Der Generalstaatsanwalt ließ ermitteln – was den Passauer Professor zu der eingangs erwähnte Replik veranlasste: Amtsträger – wie Generalstaatsanwälte – dürfen keinen Unschuldigen verfolgen; wer das veranlasse, mache sich selber strafbar. Die Rechtssprechung des Verfassungsgerichts ist eindeutig.
Schon 1958 hatte das höchste deutsche Gericht ein Urteil des Landgerichts Hamburg als verfassungswidrig aufgehoben, das dem Senats-Pressesprecher diese Meinungsäußerung untersagte gegen Veit Harlan, den Nazi-Regisseur, der „Jud Süß“ drehte:
Das moralische Ansehen Deutschlands in der Welt darf aber nicht von robusten Geldverdienern erneut ruiniert werden. Denn Harlans Wiederauftreten muß kaum vernarbte Wunden wiederaufreißen und abklingendes Mißtrauen zum Schaden des deutschen Wiederaufbaus furchtbar erneuern. Es ist aus allen diesen Gründen nicht nur das Recht anständiger Deutscher, sondern sogar ihre Pflicht, sich im Kampf gegen diesen unwürdigen Repräsentanten des deutschen Films über den Protest hinaus auch zum Boykott bereitzuhalten.
Wer die letzten Sätze der Urteilsbegründung von 1958 liest, der versteht kaum das Verhalten der Staatsanwaltschaft im Nordosten: Das Landgericht habe „die besondere Bedeutung verkannt, die dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch dort zukommt, wo es mit privaten Interessen anderer in Konflikt tritt; das Urteil des Landgerichts beruht auf diesem Verfehlen grundrechtlicher Maßstäbe“. Dabei geht es im – vergleichweise harmlosen Kommentar des Nordkuriers – nicht einmal gegen private Interessen, sondern gegen Amtsträger. 1958 ließ das Verfassungsgericht sogar einen Boykott-Aufruf zu mit dem Hinweis:
Eine Meinungsäußerung, die eine Aufforderung zum Boykott enthält, verstößt nicht notwendig gegen die guten Sitten im Sinne des § 826 BGB; sie kann bei Abwägung aller Umstände des Falles durch die Freiheit der Meinungsäußerung verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.
Nach – so ist zu vermuten – Lektüre einschlägiger Urteile scheint sich die Staatsanwaltschaft zu drehen und spricht statt von Ermittlungen nun von Vorermittlungen. Nordkurier-Chefredakteur Schumacher schreibt:
Mir liegen im Wortlaut die Auskünfte des Justizministeriums und der Staatsanwaltschaft vor, man habe ein Ermittlungsverfahren gegen mich eingeleitet, wegen des Kommentars…Mein Anwalt hat sich vor zwei Wochen bei der Staatsanwaltschaft Stralsund um Übermittlung des Aktenzeichens gebeten. Heute teilte ihm der zuständige Staatsanwalt mit, man könne „die Anfrage keinem Vorgang zuordnen“. Das ist dieselbe Staatsanwaltschaft, die auf aktuelle Presseanfragen z.B. von Bild und FAZ antwortet, das Ermittlungsverfahren gegen den Nordkurier-Chefredakteur werden vier bis sechs Wochen dauern. Realsatire.
Schumacher beklagt, dass Anfragen zu ganz anderen Themen von Landesbehörden „seit Beginn der Affäre nur noch nach schriftlicher Aufforderung, ebenfalls schriftlich und mit tagelanger Verspätung beantwortet“ werden und die Pressestellen erklären, das gelte nur für den Nordkurier.
[…] der 1000 Euro Strafe wegen des Rabauken-Berichts zahlen muss, läuft noch (siehe Bericht in diesem Blog). Schumacher hofft, dass auch die Staatsanwaltschaft auf Freispruch […]
[…] wird zum Thema in den sozialen Netzwerken und schließlich vom Nordkurier-Redakteur Thomas Krause als “Rabauken-Jäger” tituliert. Das Amtsgericht verurteilt den Redakteur zu 1000 Euro Strafe wegen Beleidigung, das Landgericht […]