Schneiders Lebensstil: Kein Yoga – kein Joghurt
Wolf Schneider, einer der beiden Handbuch-Autoren, erhielt am 6. Mai 2011 den Henri-Nannen-Preis für sein Lebenswerk. Im ersten Teil seiner Dankesrede sagte er:
„Ich bedanke mich und bin stolz auf diesen Preis. Er trifft insofern nicht ganz den Falschen, als ich unter den Preisträgern der erste (und in diesem Haus vermutlich der letzte) bin, der Henri Nannen in seiner größten Zeit erlebt und noch direkt von ihm gelernt hat – mehr als von jedem anderen Men-schen; und unbefangen füge ich hinzu: Es hat auch kein anderer Mensch von ihm so viel gelernt wie ich.
„Lebenswerk“ freilich – das klingt ein bisschen nach „gewesen“, nach Plusquamperfekt. Deshalb hänge ich mich nicht ungern an das an, was mir heute früh im Fahrstuhl Helmut Markwort vorgeschlagen hat: doch einfach von einem „Lebensabschnittspreis“ zu sprechen.
In der Tat, ich habe noch viel vor – beflügelt von den journalistischen Generaltugenden Neugier, Misstrauen und Ungeduld – gestützt auf vier Kinder, auf die ich stolz bin – Arm in Arm mit meiner Frau. Ohne sie stünde ich nicht hier. Gemeinsam betreiben wir ein florierendes Kleinunternehmen für gehobene Prosa. Und einig sind wir uns auch über unsern Lebensstil: Kein Yoga – kein Joghurt – Dampf in der Hütte – und einen Hauch von Leichtsinn bis zum Schluss. Danke, Lilo.
Henri Nannen! „Dieser überwältigende, lastende Mann“ – so hat Gerd Bucerius ihn genannt: diesen großen Zámpano der deutschen Presse – den Renaissance-Fürsten, fröhlichen Leute-Schinder und Baum von einem Mann! Zugunsten der Leser warf er mit Millionen um sich und schaufelte dabei seinen Verlegern Milliarden in die Tasche. Ein launisches Kraftpaket, von den Redakteuren gefürchtet, bewundert, gehasst, geliebt. Meldete er sich in den Urlaub ab, ging ein Aufatmen durch die Redaktion – dasselbe aber, wenn er wiederkam.
Wir keuchten unter ihm, wir strampelten in dem Hochdruckkessel, den er lustvoll beheizte – und entgegen einem populären Fehlurteil ist Druck etwas Wunderbares für alle, die etwas schaffen wollen.
Natürlich, es war viel Frust in der Redaktion: Denn sie produzierte ja immer Stoff für zwei bis drei „Sterne“, aus denen Nannen den einen herausknetete, der dann erschien. Aber es zog auch ein Hauch von Begeisterung durch die Räume, wenn wir es wieder mal gestemmt hatten, dieses unglaubliche Blatt, das das heißeste Medium deutscher Sprache war, die größte, erfolgreichste, renommierteste Illustrierte der Welt! Und ich kann sagen: Ich bin dabeigewesen.
Wie man den bloßen Blätterer permanent überrascht und förmlich hineinreißt in die Geschichten: Das wusste Nannen besser als jeder andere, das lehrte er, das setzte er um. Dass drei pakistanische Eigennamen in zwei Zeilen den Leser zuverlässig verscheuchen – dass ein schwerfälliger zweiter Absatz alle folgenden Absätze sinnlos macht – und natürlich, dass jeder Text mit einem Satz beginnen oder auf einen Satz zulaufen muss, den der Leser so schön oder so verblüffend findet, dass es ihn drängt, ihn seiner Frau zuzurufen: der Küchenzuruf in Nannens Bildersprache! Ich lehre ihn seit 32 Jahren, fast gerührt habe ich in wiedergefunden als Mahnung in den „Textstandards“ von Spiegel online.
Das Erstaunliche ist nun, dass alles, was Nannen erspürte, praktizierte, lehrte und erzwang, noch ungleich wichtiger geworden ist, als es zu seiner Zeit war. Denn dramatisch gestiegen ist ja das Angebot an gedrucktem und gesendetem Text – gleichzeitig gesunken die Bereitschaft zu gründlicher, gar geruhsamer Lektüre – gewachsen schlechthin die Kurzatmigkeit, die Ungeduld! Wer erreicht auf dem Bildschirm noch die letzte Zeile? Ist der typische Blogger nicht ein Mensch, der erst mal protestiert, ehe er gelesen hat? (Wenn überhaupt.)“
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