Sollen Redakteure ihre Leser belehren? Gibt es einen Bildungsauftrag? (Leser fragen?)
Hallo, Ihr lieben Redakteure, Euer Chef ist unermüdlich dabei, uns Lesern beizubringen, in was für einem diktatorischen Unrechtsstaat mit blutrünstigen Grenzern und linken Diktatoren wir gelebt haben. War das nicht sogar die Steilvorlage für die historische Wahl einer rot-rot-grünen Landesregierung?
So fragt ein Leser der Thüringer Allgemeine. Der Chefredakteur antwortet ihm in seiner Samstags-Kolumne:
Es ist nicht Aufgabe von Zeitungen, den Lesern etwas beizubringen. Ein Vierteljahrhundert Demokratie hat unsere Redaktion ermutigt, von der hohen Warte herabzusteigen und unsere Leser zur Debatte und, wenn es muss, auch zum Streit auf Augenhöhe zu animieren: Leidenschaftlich haben unsere Leser über den Unrechtsstaat gestritten, wobei einige durchaus gelitten haben.
Sie sind offenbar ein Liebhaber des Offensiv-Fußballs und wissen: Die schönste Steilvorlage bringt nichts, wenn es keinen Vollstrecker gibt. „Das Runde muss ins Eckige“ sagte Sepp Herberger, der Bundestrainer der Fünfziger-Weltmeister-Jahre. Die Debatte war der Steilpass, der Torschütze war Bodo Ramelow: Er, der Kandidat der Linken, sprach am Ende vom Unrechtsstaat. Und nicht wir haben die Steilvorlage geliefert, sondern unsere Leser.
Auf der Grenzwanderung mit unseren Lesern haben wir vor einiger Zeit einen Menschen getroffen, der im Todesstreifen ein Bein verloren hat. Ob er über den Spott „blutrünstiger Grenzer“ lachen kann?
Unser Leser Karl-Hugo H. beschwert sich über einen Leser, der in einem Brief geschrieben hatte: „Man drängt die Pegida-Bewegung – wie das schon immer in der BRD mit allen ,unliebsamen Bürgern‘ praktiziert wurde – in die Faschismus-Ecke“.
Das ist für Karl-Hugo H. „offensichtliche Lüge und Verdrehung“, und er kommentiert: „Eine Nazi-Keule hat es nur in der DDR gegeben“ und rät der Redaktion: „Sie müssen doch nicht jede kommunistische Lüge drucken.“
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Thüringer Allgemeine, Leser fragen, 15. Februar 2015
6 Kommentare
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Auch ein Chefredakteur hat seine schwachen Minuten, in denen er einen Kommentar abfasst.
Selten las ich einen Text, der direkt und nicht einmal im Subtext den Leserinnen und Lesern derart widersprüchlich offenbart, dass es nicht Aufgabe von Zeitungen sei, den Lesern etwas beizubringen. „Ein Vierteljahrhundert Demokratie hat unsere Redaktion e r m u t i g t, von der h o h e n W a r t e h e r a b z u s t e i g e n und unsere Leser zur Debatte und, w e n n e s
m u s s, auch zum Streit auf A u g e n h ö h e zu a n i m i e r e n.
Diese von mir hervorgehobenen Textdetails sprechen für sich und konterkarieren gleichzeitig die These, ein Printmedium wolle und solle nicht „belehren“.
Man hätte diese Frage journalistischen Wirkens auch anders aufgreifen können: Sind unseren Texten unterschwellig Belehrungen implizit? Etwa so wie in dem Text von Raue. Informieren ist eine Form der Kommunikation. Was Pegida betrifft, haben wir Journalisten das Entstehen dieser Bewegung schlichtweg verpennt und versäumt, rechtzeitig nachzufragen, was in vielen Köpfen vorgeht. Dass die Medien aggressiv als „Lügenjournalismus“ abgetan wurden und werden, verdankt sich auch in unserer „Zunft“ intern geschürten Konfrontationen. Wir sind selten schlauer als unser Lesepublikum….
Es ist Aufgabe von Journalisten, Themen und Debatten zu erkennen und zu moderieren. Wenn dies schon „belehren“ ist, was ist dann unsere Aufgabe? Auf Pegida 2 und 3 zu warten und zu fragen, was in den Köpfen vorgeht? Und wenn das auch wieder als „belehren“ verstanden wird, bleibt nur noch übrig, was Noelle-Neumann als Aufgabe von Journalisten verstanden hat: Nachrichten weitergeben, mehr nicht.
Genau diesen Aspekt, auf „Pegida 2 und 3 „zu w a r t e n“ hattte ich beim Schreiben zwar im Hinterkopf, aber zu thematisieren vergessen. Reicht nicht schon Pegida 1, sich als Journalist auf die Socken zu machen, um zu recherchieren, welches Problemempfinden in ihrem alltagtäglichen Leben die Pegida-Anhänger haben? Und Sie haben ob bewusst oder unbewusst angesprochen, dass Herumfrager wie Allensbach oder Forsa, deren Pulsfühlungen vor allem der Kollege Hans-Ulrich Jörges vertraut, oft näher das Ohr an Volkes Stimme haben als Journalisten und Stress und schlechten Arbeitsumständen.
Eine jede Rede und auch und erst recht literarische Schreibe ist „persuasiv“, birgt also in sich stets per se die klare Absicht, selbst als moderierende zu verführern, zu „belehren“ und/oder bestenfalls zum Nachdenken anzuregen. Ihre Wortwahl, was diese hochbrisante journalistische Thematik betrifft, empfand ich als verunglückt. Ihre von mir gesperrt dargestellte Wortwahl bestätigt leider weit verbreitete Aversionen und Vorurteile, die es gegen journalistische Arbeit gibt. In welchem Medium auch immer. Sie können es bei all Ihrer Erfahrung, bei allem Ihrem Wissen nicht wirklich ernst gemeint haben, in diesem Zusammenhang eine schräge These von Noelle-Neumann über „Nachrichtenweitergabe“ als letzten Kanonenschlag zu zünden. „Belehren“ ist jedenfalls nicht das, was Sie und wahrscheinlich auch ich nicht unter journalistischer Arbeit und Aufgabe verstehe. Wir sind ähnlichen Alters, kommunikativ orientiert, mit vermutlich ähnlicher Sandwichbiografie zwischen Weltkrieg-2-Eltern und heutzutage anders tickenden Jugendlichen oftmals mit Migrationshintergrund. Journalistische Arbeit speist sich auch ganz simpel aus Nähe zur Alltäglichkeit. Wir sind Lernende, nicht einander Belehrende…
Das ist mir zu hoch. Persuasiv ist Bildungshuberei, ich musste im Wörterbuch nachschauen, was es bedeutet. Diese Wortwahl ist wirklich verunglückt. Gehen Sie doch mal zu den Pegidianern und persuasiven Sie. Wahrscheinlich werden sie handgreiflich, wie es einigen Kollegen erging, die Ihrem Rat folgten und sich unters demonstrierende Volk mischten. Die meisten wollen nicht reden, die wollen nicht diskutieren, die wollen Dampf ablassen. Und das ist nicht verboten in unserem Land, dem Grundgesetz sei dank.
Pediga hat sich nun mittlerweile selbst erledigt. Der inzwischen gut untersuchte soziale Pegida-Nährbodem lässt nicht darauf schließen, dass die Probleme sich erledigt haben. Dass Sie mir „Bildungshuberei“ unterstellen, weil Ihnen der Begriff „persuativ“ neu war, amüsiert mich. Als einem, der Philosophie studiert hat, in Bochum, dürfte Ihnen dieses Wort nicht entgangen sein. Dem Reden und Schreiben ist ein neugieriges Wissenwollen implizit, weshalb man verantwortungsvoll mit Rede un Sprechen umgehen soll und muss. Obwohl, es gelingt nicht immer. Normalerweise hat man dies schon im Lateinunterricht mitbekommen. Meine Wortwahl finde ich also gar nicht als „wirklich verunglückt“. Es war mir leider nicht vergönnt, mich unters Dampf ablassende Pediga- Volk zu mischen. Bin mir aber sicher, dass es mir wie dem Kabarettisten mit seinem Puschelmikrofon in Dresden gelungen wäre, Sprachbarrieren und Verweigerung aufzubrechen. Ein Teil journalistischen Könnens und Ethik besteht auch darin, andere Meinungen als man sie selber hat, zu vermitteln. Man könnte dies auch als „Stichwortgeber“ und „Arschriecherei“, diffamieren. Bin immer gerne auf sehr konservativ und ganz links Denkende zugegangen. Alfred Dregger z.B., einLiberaler H.O Solms, ein Stoiber und Söder und Seehofer empfanden sich trotz sehr kritischer Fragen von mir kleinem Licht verstanden. Hinzugefügt sei, dass ich zu Studienzeiten in Würzburg mal als Kommunalpolitiker aktiv war. Meine InterviewFragen waren persuasiv wie jede, genauso wiei dieser Text. Es freut mich, dass Sie nun im Kontakt mit mir ein neues Wort hinzugelernt haben. Mir gefällt es, dass Sie mir „Bildungshuberei“ unterstellen. Ist doch kein Fehler, mal etwas mehr zu wissen und mit Gespür für Themen mehr
zu ahnen als ein Chefredakteur.
Es ist mir sehr peinlich, dass dieser Text mit derart vielen Rechtschreib- und Grammatikfehlern unredigiert veröffentlicht wurde. Habe mich verklickt und eine erste Fassung verschickt, bei der mit mir der berühmte Gaul durchgegangen war. Im „Handbuch“ wird ja auch auf einer Meta-Ebene über journalististische Praxis reflektiert und diskutiert. Den Begriff „persuasiv“ in diesem Zusammenhang einzubringen halte ich nach wie vor nicht für „Bildungshuberei“, wenn man denn Schreiben und Informieren für einen Vorgang hält, der je nach Textsorte bestimmten Regeln folgt und eine Art von Handeln per Sprache ist. Wenn ich zu den Pegida-Leuten gegangen wäre, wäre es als Journalist nicht meine Aufgabe gewesen, sie vom Gegenteil ihrer Meinung zu überzeugen, sondern herauszufinden, was sie überhaupt meinen und denken. Ich hätte sie also entweder überzeugen müssen, dass sie überhaupt etwas sagen oder wäre in entsprechendem Qutfit einfach nur mitgelaufen und hätte Augen und Ohren aufgesperrt. „Persuasiv“ wäre es dann gewesen, Leserinnen und Leser für meinen Artikel zu interessieren. Würden Sie bestreiten, dass Nachrichten und „einkommende Zeitung“ den Gesetzen der Kommunikation folgen und auch eine Ware sind, die samt Anzeigen verkauft werden muss? Um so besser, wenn sie überzeugt. Im Prinzip ist es ja komplett simpel, was ich da gerade schreibe, habe neulich nur einen Ihnen unbekannten Begriff aus Rhetorik und Kommunikationswissenschaft verwendet, weil ich den als hilfreich empfinde, über unseren Beruf nachzudenken. Eine jede Überschrift ist persuasiv. – „Lese diesen Artikel!“ Diese Aspekte genauer herauszuarbeiten habe ich versäumt. Aber die sind ja auch bekannt…