Sprich verständlich! – Friedhof der Wörter
„Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das ist verdeutschet: Schädelstätt“ – so singt der Evangelist in einem beeindruckenden Musikwerk, in Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“. In diesem Satz steckt eine komplette Philosophie der Sprache: Sprich so, dass jeder Dich versteht!
Der Evangelist wirft dem Zuhörer nicht einfach ein fremdes Wort an den Kopf, er benennt seinen Sinn – damit der andere versteht. Das ist beste Luthersche Tradition.
Der Mönch aus Erfurt hat den Eliten und Wohlgebildeten seiner Zeit, den Priestern und Würdenträgern, den Mächtigen und Edlen ihr Monopol auf den Gebrauch der Bibel entrissen – indem er sie aus der Fachsprache, damals das Lateinische, in die Sprache des Volkes übersetzte.
Das war das Ketzerische: Sprich so, dass jeder Dich versteht! Das gilt heute wie vor fünfhundert Jahren. Wer sich in Experten-Latein und Fachsprachen einmauert, will nicht mal den Experten des Nachbar-Fachs sehen; wer mit Anglizismen Werbung treibt, vergrault Kunden und schadet der Marke.
Wer so die Gesellschaft spaltet, die sich durch eine gemeinsame Sprache bestimmt, sollte am Karfreitag Bach hören: „Das ist verdeutschet“!
THÜRINGER ALLGEMEINE vom 02.04.2012, S. 14
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