Udo Jürgens in der DDR: Einer, der zwischen den Zeilen singen konnte (Friedhof der Wörter)
Udo Jürgens war in der DDR beliebt, trat vier Mal auf – er war ja Österreicher, war „neutral“ – und hatte am Ende eine dicke Stasi-Akte. Der Sänger galt in Ostberlin zwar als einer, der sein Publikum mit leichten Texten unterhielt, aber trotzdem als unberechenbar galt – als einer, der zwischen den Zeilen singen konnte.
Zwischen den Zeilen singen – das mochte Udo Jürgens, wenn er nicht gerade „Aber bitte mit Sahne“ anstimmte. Am liebsten komponierte er Lieder mit Botschaften, leisen Botschaften. „Wie finde ich eine geniale Zeile, ohne verletzend zu sein“, fragte er sich, als er im September 1976, kurz nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann, in den Friedrichstadt-Palast kam.
Die Stasi setzte 25 Leute auf ihn an und wollte nach einer „politischen Provokation“ sofort „Ein Kessel Buntes“ stoppen. Udo Jürgens wusste, dass nur ausgewählte Leute der Partei im Saal saßen – aber auch die wollte er einfangen mit den Liedern, die leicht daherkamen, aber die Köpfe bewegten.
Er bewegte sie, erst mit dem scheinbar harmlosen „Und immer, immer wieder geht die Sonne auf“, was im Friedrichstadt-Palast nicht harmlos klang; dann mit „Es war einmal ein Luftballon“, ein Lied an der Grenze zur Provokation mit den Zeilen:
Er flog wie die Gedanken
die niemand hemmt und hält.
Sie kennen keine Schranken
die Luftballons der Welt…Wir singen für dich,
wenn dir die Freiheit auf den Nägeln brennt.
Wir singen für dich,wenn man die eig’ne Meinung dir nicht gönnt!
Mit Wörtern und Liedern kann auch ein Udo Jürgens keine Revolution bewirken, aber Köpfe bewegen, das konnte er. Deswegen haben die Mächtigen auch Angst vor den Wörtern und Liedern, die zwischen den Zeilen ihre Botschaften verstecken und provozieren – ohne dass gleich ein Kessel Buntes explodiert.
Udo Jürgens starb am Sonntag vor Weihnachten.
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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, Erscheinungstermin noch offen
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