„Überartzung“ – was ist das? Oder das „Zepfilebuch“? (Friedhof der Wörter)
Beenden wir unsere Wort-des-Jahres-Rundreise durch das deutschsprachige Europa in Liechtenstein. Die Erbmonarchie, idyllisch in den Alpen gelegen, spricht deutsch – und Dialekt.
Allein in Liechtenstein wählt eine Jury das Dialekt-Wort des Jahres und beweist: Dialekte leben! „Zepfilebuch“ ist das Wort des Jahres, das in einem Stammtafel-Buch des kleinen Liechtensteiner Orts Schaan vorkommt.
Es gibt dort tiefe Täler und gab offenbar auch Abgründe in der Einstellung der Bürger: So sind nur Männer aufgeführt im Buch der Abstammungen – „und Frauen bestenfalls in der Form von Ehegattinnen“, wie die Jury schreibt.
Das in diesem Herbst erschienene neue ,Stammbuch der Bürgerinnen und Bürger von Schaan‘ räumt nun endlich auch den Schaanerinnen den Platz ein, der ihnen gebührt. Das Zepfilebuch hat sich damit emanzipiert und muss sich einen neuen Übernamen suchen.
Wie in Deutschland, Österreich und der Schweiz prägt die Politik das Wort des Jahres. Offenbar haben sich die 36.000 Liechtensteiner über eine Reform der Krankenversicherung die Köpfe heiß geredet.
„Überartztung“ ist das Wort des Jahres, von einem Richter populär gemacht, der einen Arzt zu einer Million Franken verurteilte – weil er seine Patienten zu oft untersucht hatte. „Überartztung“ sollten wir uns in Deutschland merken!
Auch das Unwort des Jahres entstammt dieser Debatte: „Entsolidarisierung“. Die Reform-Gegner machten mit dem Wort mobil. Die Jury:
Das Argument der ,Entsolidarisierung‘ drang beim Stimmvolk aber nicht durch – weil die Regierung glaubhaft darlegen konnte, dass im Falle einer Zustimmung zur Revision die Prämien für alle stabiler bleiben würden und die schwarzen Schafe unter der Ärzteschaft besser zur Rechenschaft gezogen werden könnten.
Vielleicht sollten sich die Bürger in deutschen Städten auch für ein eigenes Wort des Jahres entscheiden: Die thüringische Stadt Mühlhausen hat fast so viele Einwohner wie Liechtenstein; Eisenach sogar ein paar hundert mehr.
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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 8. Februar 2016
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