Von „Negern“ und anderen Tabus: Wer bestimmt, was wir sagen dürfen? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 20. September 2015 von Paul-Josef Raue.

Es gibt Wörter, die sind offenbar ein Tabu: „Neger“ zum Beispiel. Als der bayerische Innenminister Joachim Herrmann den Sänger Roberto  Blanco einen „wunderbaren Neger“ nannte, empörten sich viele: Er hat ein Tabu verletzt! Nur – wer verurteilt ein Wort zum Tabu?

Roberto Blanco fühlt sich nicht beleidigt: Das Wort war nicht böse gemeint. Trotzdem entschuldigte sich der Minister.

Die Linken-Abgeordnete Katharina König sprach in der Debatte um den 8. Mai als Feiertag: „Die CDU leidet offenbar an politischem Autismus“. Die CDU fühlte sich nicht beleidigt, aber Autisten empörten sich. Die Abgeordnete entschuldigte sich: „Ein unsäglicher Fehler“.

Wer verurteilt zum Tabu? Einen offiziellen Tabu-Beauftragten gibt es nicht. Meist sind es Kommentatoren in Zeitungen und im Fernsehen, die sich empören. „Rassistisch“ nannte die „Zeit“ des Innenministers „Neger“-Äußerung und Hunderte schlossen sich in Internet-Kommentaren an.

Mitunter sind auch Gruppen, wie die Autisten verletzt, wenn sie sich ausgegrenzt fühlen – auch wenn nicht sie, sondern eine politische Partei diskriminiert werden sollte. Der Tabu-Bruch der Abgeordneten fand kaum Beachtung, weil keine Zeitung darüber berichtete: Die Pressemitteilung löschte der Pressesprecher im Internet, das war’s. Herrmanns „Neger“  dagegen wuchs zur Affäre aus, weil alle Zeitungen berichteten und den Tabu-Bruch beklagten.

Die Schar der Kritiker wächst, die zwar nicht in der Regierung, aber in den „Medien“ einen Tabu-Beauftragten vermuten, der bestimmt, welche Wörter gesagt werden dürfen. Auffällig ist: Die Erregung über eine vermutete „Meinungsdiktatur“ oder „Sprach- und Gedankenpolizei“ wächst in einer Zeit, in der jeder im Internet schreiben kann, was er will.

Der Artikel 5 des Grundgesetzes kennt keine Tabus, sondern garantiert die Freiheit der Meinung. Noch nie konnten so viele öffentlich ihre Meinung äußern und über Tabus diskutieren.

Nur – ist ein Tabu noch ein Tabu, wenn jeder darüber spricht?

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 21. September 2015

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