Wahlprogramme im Osten: Bürgerfern. Der Experte: „Wer nicht verstanden wird, kann nicht überzeugen“ (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 6. September 2014 von Paul-Josef Raue.

Was sind „revolvierende Fonds“? Wer sind „LSBTTIQ-Menschen“? Und was bedeuten „Trittsteinbiotope“, „Kaskadenmodelle“ und „Außenwirtschaftsgutscheine“? Genug! Genug! 

Alle Jahre wieder schauen sich Wissenschaftler aus Hohenheim die Wahl-Programme an.
Und alle Jahre wieder, so auch bei den ostdeutschen Landtagswahlen,  lautet ihr Fazit: Unverständliche Wörter, Fachbegriffe und Anglizismen  und viel zu lange Sätze und Schachtelsätze. Kurzum: Die meisten Programme sind unverständlich, bürgerfern und nähren die Verdrossenheit der Wähler.

Offenbar können sich die Experten in den Parteien austoben und Sätze schreiben, die nur sie verstehen. Oder haben die Parteien den Wähler schon abgeschrieben? Denken sie:  Programme liest doch keiner, allenfalls die Mitglieder?

Die Wissenschaftler um Professor Frank Brettschneider fanden in Thüringer Programmen Wörter wie
„Contractings“ (Linke), „Public-Private-Partnership-Verträge (PPP)“ (Piraten), Clustermanagement, Green-Tech, Spin-Offs oder Racial Profiling (alle SPD). Trotzdem kommt die SPD zusammen mit den Grünen auf dem zweiten Platz der Verständlichkeits-Parade.

Sieger im Verständlichkeits-Wettstreit ist die CDU, die von 20 möglichen Punkten immerhin 11 holte. Auf den letzten Platz mit knapp 4 Punkten kommt die Linke. „Ihre Wahlprogramme in Sachsen und in Thüringen sind noch unverständlicher als politikwissenschaftliche Doktorarbeiten“, sagt Professor Brettschneider.

„Wer nicht verstanden wird, kann auch nicht überzeugen“, fasst der Hohenheimer Professor zusammen. „Ohne ein hohes Bildungsniveau oder politisches Fachwissen sind einige Inhalte  schwer verständlich. An den Bedürfnissen der Leser, die sich nicht tagtäglich mit diesen Themen beschäftigen, schreiben Parteien damit vorbei.“

Warum hat die ständige Kritik an den Programmen kaum eine Resonanz? Schon ein Deutsch-Leistungskurs wäre in der Lage, etwa einen 54 Wörter-Satz im Linken-Programm lesbarer und somit verständlicher zu machen; ein Doppelpunkt und die Auflösung des Endlos-Nebensatzes reichte:
 

Wir machen uns dafür stark, dass die Koordination von Kriegen der Bundeswehr in anderen Staaten so schwer wie möglich gemacht wird, offizielle Vertreterinnen und Vertreter des Landes sich der militärischen Traditionspflege und bei Gelöbnissen enthalten, internationale Friedensinitiativen auch von Thüringen aus gestartet werden und die Bundeswehr nicht in Schulen für ihre Rekrutierung werben darf.

**

Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter 8. September 2014

Diskutieren Sie mit uns den Artikel "Wahlprogramme im Osten: Bürgerfern. Der Experte: „Wer nicht verstanden wird, kann nicht überzeugen“ (Friedhof der Wörter)"