Warum ist Viagra blau? Wie Reportagen entstehen
Wie lange recherchiert ein Journalist für seine Reportagen? Gab es Schwierigkeiten bei den Recherchen? Wie kam er überhaupt auf das Thema? Was dachte er vor einem Gespräch von dem Menschen, den er porträtiert?
Leser interessiert nicht nur die Reportage, sondern – wenn sie gut ist – auch das Drumherum. Auf DVD von Filmen gibt es meist einen Bonus: „Making of“. Über das Making-of, das Entstehen einer Reportage erzählt der Spiegel schon auf der ersten redaktionellen Seite im Heft. Wer mit Redakteuren in Hamburg spricht, kommt oft und schnell zur „Hausmitteilung“; so dürfte der Redakteur, der die „Hausmitteilung“ schreibt, auch der am meisten kritisierte sein, also ein Höllenjob.
Vorbildlich macht das Making-of das SZ-Magazin: Am Ende einer Reportage sieht der Leser nicht nur das gezeichnete Porträt der Reporterin oder des Reporters, sondern liest auch das Making-of, beispielsweise in der aktuellen Ausgabe zur Titelgeschichte „Wege der Hoffnung / Wann muss das Jugendamt Kinder von ihren Eltern trennen?“ (31 – 3. August 2012):
Auf dem Weg zu dieser Geschichte fragte der Berliner Reporter ANDREAS WENDEROTH bei Dutzenden Jugendämtern in Deutschland an. Meist wurde er vertröstet, man werde nach geeigneten Fällen suchen, ja, wir rufen zurück. Zuweilen gab es begründete Absagen, etwa wenn die Familien nicht mitspielen wollten. Und hin und wieder erfuhr man, man habe keine Lust auf Presse, zu viele schlechte Erfahrungen. Umso erstaunter war Wenderoth, als sich nach Monaten erfolgloser Vorarbeit in Regensburg die Türen weit öffneten.
In derselben Ausgabe erzählt die Reporterin von ihrem Friseur und was er mit dem Gespräch zu tun hat, das sie mit Ulrike Meyfahrt geführt hatte:
GABRIELE HERPELL war 1972 voll vom Ulrike-Meyfahrt-Virus erfasst – wie ihre halbe Klasse übrigens. Sie sprangen im Sportunterricht nur noch den Flop und baten den Friseur um den Haarschnitt von Ulrike Meyfahrt. Das war nicht bei allen so eine tolle Idee.
In diesem Fall dürfte sich mancher Leser gewünscht haben, dass sich der Zeichner (oder der Friseur) ein wenig mehr Mühe gegeben hätte mit dem Bild der Reporterin.
Bisweilen ist das Making-of auch kein Making-of, sondern nur eine Anekdote aus der Recherche, die der Reporter nicht in seinem Text unterbringen konnte – wie über einen 92-jährigen Verleger im Gesundheits-Heft vom 29. Juni:
Am Anfang seiner Recherche hörte ROLAND SCHULZ das Gerücht, die Mitarbeiter der Apotheken Umschau trinken bevorzugt Champagner. Stimmt, zumindest am 5. Juni: Gewöhnlich schenkt Verleger Rolf Becker jedem Mitarbeiter an seinem Geburtstag eine Flasche Veuve Clicquot.
In demselben Heft erzählt eine SZ-Reporterin, wie sie auf die Idee kam zum Interview über die Farbe von Tabletten: („Weiß sind am billigsten.Warum ist Viagra blau?“):
MEIKE MAI kam die Idee zu diesem Interview, als sie in einer Damien-Hirst-Ausstellung vor einer Vitrine voller bunter Pillen stand. Sie fragte sich, wer kreativer war: Hirst oder die Designer der Pillen für das Werk Lullaby Spring.
(zu: Handbuch-Kapitel 32-33 Die Reportage + 39 ff „Wie man Leser gewinnt“ + der Idee, nicht nur „Zeitschriften-Vorspänne“ zu zitieren, sondern auch „Zeitschriften-Nachspänne“ im Kapitel 36 „Der Zeitschriftenjournalismus“).