Wenn Dämme brechen und Leute ihr Haustier heiraten (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 25. Juli 2014 von Paul-Josef Raue.

In Deutschland gibt es vergleichsweise wenige Dämme. Sie schützen Mensch und Schaf gerade mal an großen Flüssen und am Meer. Dennoch ist ein Sprachbild, besonders bei Politikern, sehr beliebt: Der Dammbruch. „Wir sind ein Volk von Deichbeauftragten“, macht sich der Mainzer Verfassungsrichter Friedhelm Hufen über den Deich in der öffentlichen Diskussion lustig.

Aber das Bild ärgert ihn auch, zu Recht. Wer vor dem Dammbruch warnt, will nicht mehr diskutieren und begründen: Er malt den Weltuntergang an die Wand, wenn es um Designer-Babys, Einwanderung oder Homo-Ehe geht – und unterstellt, dass der Mensch nicht mehr eingreifen kann wie bei einer unbeherrschbaren Sturmflut.

„Der drohende Dammbruch gehört zum Lieblingsritual pseudointellektueller Gruselrunden“, urteilt der Jura-Professor und argwöhnt, dass Risiken dramatisch überzeichnet und Chancen von vornherein negiert würden. Diese „Pseudo-Intellektuellen“ seien selbsternannten Vormünder, die die Vernunft des Einzelnen durch ihre eigene Entscheidung ersetzen wollen: „Gegenüber Dammbruch und Katastrophe wird dann der vorsichtige Hinweis auf individuelle Freiheiten und die Begründungsbedürftigkeit von Freiheitseinschränkungen zum Verstummen gebracht.“

Der Blogger Michael Hohner zitiert in Ratio Blog ein blödes, aber offenbar verbreitetes Dammbruch-Argument: „Wenn Schwule heiraten dürfen, dann müssen wir auch Leute ihre Haustiere heiraten lassen oder ihr Auto, und dann bricht die Gesellschaft zusammen.“ Für ihn sind Dammbruch-Argumente ein „Fehlschluss“, von denen er 32 aufzählt.

In der englischen Sprache spricht man von der schiefen Ebene, dem „Slippery Slope“; andere deutsche Bilder sind der Domino- und Lawinen-Effekt und die „Spirale der Gewalt“.

Beerdigen wir also die „schiefen Ebenen“ und zuerst den „Dammbruch“ und lassen Immanuel Kant zu Wort kommen, den Philosophen des mündigen Bürgers – den auch der Verfassungsrichter zitiert:

Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, so brauche ich mich ja selbst nicht zu bemühen.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 28. Juli 2014 (hier erweiterte Fassung)

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