Wenn die Sprache Zickzack läuft: „Geistlich“ oder „geistig“?

Geschrieben am 19. September 2014 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 19. September 2014 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, D. Schreiben und Redigieren.

Ein Leser wunderte sich, als er am gestrigen Freitag auf der dritten Seite der Thüringer Allgemeine vom neuen Erfurter Bischof las als dem „geistigen Oberhaupt“: „Ich kam ins Grübeln über „geistige“ und „geistliche“ Oberhäupter. Ein flüchtiges Suchen im Internet brachte mir noch keine Erleuchtung, ob ich den neuen Bischof als mein geistiges oder geistliches Oberhaupt ansehen soll. Vielleicht können Sie ja tiefer in die Materie einsteigen?“

TA-Chefredakteur antwortete in seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“:

Eigentlich müsste es „geistliches Oberhaupt“ heißen. In unserem Sprachgebrauch hat „geistlich“ die Bedeutung von „religiös“; so sprechen wir auch vom Dalai Lama als dem geistlichen Oberhaupt der Tibeter. Im engeren Sinne meint es bei uns „christlich“ oder „katholisch“; so nennen die Katholiken ihre Priester auch „Geistliche“.

„Geistig“ hingegen hat wenig mit der Religion zu tun: Es bedeutet in der Regel „intelligent“. Wer ein Kopfmensch ist, logisch denken kann, der ist „geistig gesund“ – im Gegensatz zu geistig behinderten oder geistig verwirrten Menschen.

Allerdings geht es auch heute, nicht nur auf der dritten TA-Seite, munter durcheinander: mal geistig, mal geistlich – wobei die Statistik das „geistliche Oberhaupt“ klar vorne sieht.

Auch in der Geschichte unserer Sprache wechselte die Bedeutung von Jahrhundert zu Jahrhundert: Mal wurden die beiden Wörter sinngleich benutzt, dann verschwand – beispielsweise vor fünfhundert Jahren – das Wort „geistig“ nahezu komplett aus unserer Sprache. Luther definierte etwa: „Das muss ja geistlich heißen, was der Geist tut und vom Geist kommt“; das nennen wir heute eben „geistig“ und nicht geistlich.

Und Goethe schrieb aus Weimar an seinen Freund Herder, als der sich in Italien herumtrieb: „Deine Frau besuche ich von Zeit zu Zeit und öfter, wenn der geistliche Arzt nötig sein will.“ Aber da meinte der Geheimrat keinen religiösen Seelentrost, sondern seinen Trost des Geistes.

Es gibt noch eine Bedeutung von „geistig“, die wir scherzhaft heute noch bei einem Glas Wein oder Bier nutzen. In einem Leipziger Lexikon von 1731 finden wir sie schon: „Einige Brauer decken den Kessel fest zu, damit das Bier geistiger und stärker bleibe.“

Vielleicht ist der neue Erfurter Bischof ja all dies zusammen: Geistlich und geistig – und ein Freund edler geistiger Getränke.

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Thüringer Allgemeine 20. September 2014

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