Wie die Ziehung der Lottozahlen: Pressekarten zum NSU-Prozeß
Wir wischen uns die Augen und denken: Das kann doch nur Satire sein – Heute-Show, Scheibenwischer oder Neues aus der Anstalt. Die Anstalt ist ein diesmal Gericht, und die Satire läuft so:
An einem Frühlingsmorgen in München treffen sich ein Richter und eine Aufsichtsperson, gespielt vom Ex-SPD-Chef Hans-Jochen Vogel, zur Ziehung der Lottozahlen, Pardon: zur Ziehung der Pressekarten für den Neonazi-Prozess.
Eine Direktübertragung der Ziehung fand nicht statt, so dass die Frage bleibt: Sind alle Kugeln auch in die Trommel gefallen? Das ist keine abwegige Frage: Vor wenigen Wochen blieben zwei Lotto-Kugeln stecken, trotz notarieller Aufsicht. Die falschen Zahlen wurden verkündet. Ein Gewinner mit sechs Richtigen ging leer aus, weil nochmals gelost werden musste. Zum Trost kam der Gewinner groß in die Bildzeitung.
Wie beim Lotto fand auch im Münchner Gericht die Verkündigung vor laufenden Kameras statt. Man nennt so etwas ein Medien-Ereignis, wohl gemerkt: Nicht der Prozess-Auftakt, sondern die Presse-Lotterie.
So etwas kann die beste Satire nicht leisten. Das unwürdige Schauspiel fand wirklich statt – im Münchner Oberlandesgericht. Aus Ärger über ein Urteil des Verfassungsgerichts verschob das Gericht den Prozess und verordnete eine Lotterie. Dabei wäre das Verfassungsgericht schon zufrieden gewesen, hätte man drei Stühle für türkische Journalisten in den Saal 101 gestellt.
Große Medien mit internationaler Bedeutung wie die FAZ oder die „Welt“ sind durchgefallen, politisch unauffällige wie „Brigitte“ oder „Radio Lotte“ aus Weimar sind dabei. Das Gericht in München hat eine der großen Prinzipien unseres Rechtsstaats lächerlich gemacht: Die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren. So viel Häme hat unsere Demokratie nicht verdient.
Leitartikel der Thüringer Allgemeine für den 30. April 2013 (unredigiert)