Sie haben Recht mit Ihrer Vermutung: Der Fotograf war stolz auf seinen Schnappschuss, die Redaktion freute sich über ein ungewöhnliches Bild – und keiner dachte an den 11. September und den Terror in New York.
Ich glaube nicht, dass dies eine Frage des Nachdenkens ist. Ein Redakteur hätte gereicht in unserer Konferenz, dem sein Blitzlicht-Gedächtnis das Foto gezeigt hätte, mit dem das Flugzeug im Anflug auf einen der Zwillingstürme. Diese Erinnerung wäre sicher der Grund gewesen, das Foto nicht zu drucken.
Wie verarbeiten wir Bilder in unserem Gedächtnis?
Eine Viertelsekunde bleibt ein Bild normalerweise auf der Netzhaut, nach einer halben Sekunde ist es verflogen. Wir speichern die meisten Bilder nicht, wir würden dabei untergehen – erst recht bei der Masse an Medien-Fotos, die auf uns eintrommeln.
Nur wenige Bilder bleiben ein Leben lang mit vielen Details in unserem Gedächtnis hängen, die Hirnforscher nennen sie „Blitzlicht-Erinnerungen“. Darunter sind persönliche Katastrophen und Augenblicke großen Glücks, aber auch kollektive Bilder wie Brandts Kniefall in Warschau, die Erschießung eines Vietkong durch den Polizeichef von Saigon, der DDR-Grenzsoldat beim Sprung über den Stacheldraht, die Jubelfeiern am Brandenburger Tor, als die Mauer fiel – und eben die Flugzeuge, die in die Zwillingstürme rasten.
Dabei können die Gefühle durchaus verschieden sein: Ein Araber, der positiv über Al Kaida denkt, könnte das Bild der Terror-Flugzeuge anders empfinden als eine Weimarerin.
Wir Redakteure sind in Gefahr, in der Masse der Bilder unterzugehen, vielleicht stumpfen wir auch ab. Trotzdem bitten wir alle, die sich entsetzten, um Entschuldigung. Wir wollten keinen verletzen!
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