„Wir schaffen das“: Analyse einer Sprachwissenschaftlerin

Geschrieben am 10. September 2016 von Paul-Josef Raue.
Bundeskanzlerin Angela Merkel während einer Bundestags-Debatte. Foto: Bundesregierung/Steins

Bundeskanzlerin Angela Merkel während einer Bundestags-Debatte. Foto: Bundesregierung/Steins

„Wir schaffen das!“ – Die Geschichte ist voll von solchen Wendungen, erzählt die Sprachwissenschaftlerin Heidrun Kämper in einem Interview mit Thomas Groß vom Mannheimer Morgen:

  • Alea iacta est (der Würfel ist gefallen);
  • Auch Du, mein Sohn Brutus;
  • Hunde, wollt ihr ewig leben?
  • Blühende Landschaften.

Wendungen bleiben lange im kollektiven Gedächtnis: „Blühende Landschaften“ wird oft noch im Osten benutzt, weil die Menschen meinen, da blühe wenig.

Wendungen verschwinden aber, so Kämper, wenn sich die Umstände veränderten und erinnert an Scheidemanns „Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns diese Fessel legt?“, als die Nationalversammlung kurz nach  Ende des Ersten Weltkriegs den Versailler Vertrag diskutierte.

Was macht den Reiz von Merkels Wendung aus, ob positiv oder negativ genutzt?

  1. Das „wir“ – Kämper:

    Mit dem ,wir‘ richtet sich der Appell auf eine Gemeinschaft, zu der alle gehören, einschließlich die Sprecherin. Damit soll die enthaltene Botschaft für alle akzeptabel sein. Wenn es hieße ,ich schaffe das‘, wäre ein Versprechen gegeben; wenn es hieße ,ihr schafft das‘, hätte die Kanzlerin sich selbst ausgenommen… Die fremdenfeindliche Rechte fühlt sich durch diesen Satz überfahren: In der Form eines Aussagesatzes verbietet er jeglichen Widerspruch.

  2. Das Deixis „das“.

    Die Verwendung des „das“ ist umgangssprachlich und lässt die Aussage mit mehr Leichtigkeit daher kommen, als wenn es etwa geheißen hätte „wir schaffen die Integration“.

(Deixis ist ein Fachbegriff aus der Linguistik und bezeichnet ein Wort, das auf Personen, Zeit oder Ort verweist – wie eben das Merkelsche „das“)

  1. Die Ähnlichkeit mit Obamas „Yes, we can do ist“? Nein! Kämper: Obama beginnt mit einer Zustimmung und hat einen deutlich positiven Charakter. Außerdem fehlt dem Satz das Objekt.

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Ob Merkel ahnte, welche Wirkung diese Wendung bekommen würde? Wer den kompletten Wortlaut aus der Pressekonferenz am 31. August 2015 liest, bekommt Zweifel, auch wenn Merkel gerade diese Wendung wiederholt:

Und ich sage ganz einfach, Deutschland ist ein starkes Land und das Motiv, in dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft, wir schaffen das! Wir schaffen das! Und wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden, muss daran gearbeitet werden. Und der Bund wird alles in seiner Macht stehende tun, zusammen mit den Ländern, zusammen mit den Kommunen, genau das durchzusetzen.

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Info (nach Mannheimer Morgen)

Heidrun Kämper, geboren 1954 in Westfalen und verheiratet, studierte Germanistik und Politik. Seit 1993 arbeitet sie als wissenschaftliche Angestellte des Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache. Sie ist außerdem Professorin an der Universität Mannheim und seit 2014 Mitglied des Mannheimer Gemeinderats, wo sie die SPD vertritt. Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist die Wechselwirkung von Sprache, Gesellschaft und Politik. Sie leitet am IDS den Themenschwerpunkt „Sprachliche Umbrüche des 20. Jahrhunderts“ in der Fachabteilung Lexik.

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